Gazette Verbrauchermagazin

Stadteingang West – eine Chance für die ökologische Stadtplanung?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf November 2022
Anzeige
SPD Charlottenburg-WilmersdorfCDU-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf

Neues Entwicklungsgebiet – neue Chancen. Wie soll der künftige Stadteingang West gestaltet werden? Im Folgenden nehmen die Fraktionen der BVV zu diesem Thema Stellung.

B‘90/Grünen-Fraktion

Wie wollen wir in 20 Jahren wohnen und arbeiten? Spielende Kinder auf der Straße, grüne Sitzecken, ein mit Regenwasser gespeister Teich; im autofreien Quartier ist es ruhiger und die Bewohner*innen leben gesünder. Ein gut durchplantes Biotopsystem sorgt ebenso wie Baumaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen für ein besseres Klima. Wärme und Energie wird aus Solartechnik, Abwasserwärme und Geothermie gewonnen. Gemeinschaftlich genutzte Werkstätten und andere Funktionsräume reduzieren den Flächenbedarf. Der Wohnraum kann sich variabel an die Lebenssituation anpassen, wenn die Kinder ausziehen oder eine Wohngemeinschaft mehr Platz braucht. Handwerkerhöfe und Läden haben ebenso kurze Wege wie Büros, die für Meetings genutzt werden oder die technische Infrastruktur bereitstellen. Kitas und Freizeiteinrichtungen, Sportflächen und Erholungszonen sind ebenso multifunktional nutzbar. Die Messe wird sich klimaneutral weiterentwickeln und neue Planungsspielräume schaffen. Rufbusse sichern die Mobilität aller. Rad- und Fußverkehr und eine gute Anbindung an die S-Bahn fördern das neue Mobilitätsverhalten. Dies alles wird durch eine ganzheitliche Planung möglich, die bezahlbar bleibt, da im Entwicklungsgebiet entsprechende Steuerungsinstrumente greifen.

Ansgar Gusy

SPD-Fraktion

Der Neubau des Dreiecks Funkturm ist eines der größten städtebaulichen Projekte im Bezirk. Die Planungshoheit für den Autobahnbau liegt zwar beim Bund, für die Gestaltung der umliegenden Grundstücke hat der Bezirk aber großen Spielraum. Es ist unser Ziel, diese Flächen nachhaltig zu entwickeln. Für uns sind das im Wesentlichen 3 Projekte: Erstens, das neue Wohnquartier auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Grunewald. Wir setzen uns dafür ein, dass hier eine landeseigene Baugesellschaft ein sozial-ökologisches, autofreies Quartier mit bezahlbaren Mieten, begrünten Häusern und viel entsiegeltem, wohnortnahem Stadtgrün entwickeln soll. Zweitens, der Umbau der Fläche zwischen den Gleisen am Westkreuz zu einem Westkreuzpark. Hier hoffen wir, dass die Rechtsstreitigkeiten schnell beigelegt werden können, damit eine neue Oase mitten im Bezirk entstehen kann. Drittens, die Deckelung der A100 nördlich des Dreiecks Funkturm. Wir wollen die Narbe durch die Stadt schließen und so neue Flächen schaffen, auf denen entweder Parks und Gärten oder ein neues ökologisches Stadtquartier entstehen kann.

Claudia Spielberg und Nico Kaufmann

CDU-Fraktion

Die Ausweisung des 152 Hektar großen Areals zwischen Messegelände, ICC, Bahnhof Westkreuz und Bahnhof Grunewald als Entwicklungsgebiet bietet die gute Gelegenheit, dieses für unseren Bezirk wichtige Gebiet endlich konzeptionell und in seiner Gesamtheit zu einem attraktiven Quartier zu entwickeln. Im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs haben auch die Bürgerinnen und Bürger des Bezirks die Möglichkeit, sich an der Entwicklung des Masterplans zu beteiligen, der zu einer Änderung des Flächennutzungsplans und den weiteren Planungsschritten führen wird. Hauptaugenmerk muss in dem Planungsprozess aus Sicht der CDU-Fraktion auf der Entwicklung des Gebietes zu einem lebenswerten Quartier für seine heutigen und künftigen Bewohner liegen. Dies schließt in Zeiten der extremen Wohnungsknappheit in Berlin selbstverständlich vor allem die Schaffung neuer Wohngebiete ein, aber auch geeignete Flächen für die Ansiedlung von Gewerbe sind zu schaffen. Dass eine zeitgemäße Stadtplanung alldem selbstverständlich ökologisch wertvolle Entwicklungsziele zugrunde legt, ist aus unserer Sicht selbstverständlich.

Christoph Brzezinski

FDP-Fraktion

Das Gebiet „Stadteingang West“ ist aufgrund seiner prominenten Lage zwischen Messegelände, ICC und den S-Bahnhöfen Westkreuz und Grunewald von städtebaulich herausragender Bedeutung. Die Gestaltung dieses Ortes am Rand der City-West wirkt sich somit nicht nur lokal aus. Als gut vernetzter Standort birgt er weitreichende Potenziale für eine zukunftsträchtige Weiterentwicklung, die für ganz Berlin ein wichtiges Zeichen setzen wird. Dabei ist es wichtig, dass im Rahmen des Stadtentwicklungsprozesses nicht nur aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wird. Auch gilt es, sich kommenden Herausforderungen zu stellen. Die neu zu schaffenden Grün- und Erholungsflächen sowie Spiel- und Sportflächen müssen nicht nur eine hohe Aufenthaltsqualität für unsere Bürger haben, sie müssen gleichzeitig auch klimatische Veränderungen abfedern und als Schatten- und Versickerungsfläche für Regenwasser dienen. Ungeachtet dessen ist darüber hinaus eine ausreichend städtebauliche Dichte zu schaffen, damit Wohn- und Nutzflächen im benötigten Umfang für die wachsende Stadt angeboten werden können. Hierbei muss auch in die Höhe gedacht werden dürfen.

Johannes Heyne und Stefanie Beckers

Linksfraktion

Der Stadteingang West bietet enormes Potenzial für die sozial-ökologische Stadtentwicklung im Bezirk: Frischluftschneisen, verbindende Radwege, Sport- und Spielflächen, Kulturräume sowie bezahlbarer Wohnraum. Bei der Auftaktveranstaltung zum Projekt wurde aber deutlich, dass die Planungen der anstehenden Autobahnsanierung untergeordnet werden. Es fehlen Ideen für Wegeverbindungen, den Umgang mit wertvollen Grünflächen, und wer sich den Wohnraum wird leisten können, ist unklar. Das Bezirksamt muss sich für eine Planung einsetzen, die Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht Investor:innen. Wir fordern, dass die Ideen der zahlreichen Anwohner:innen-Initiativen und ansässigen Kleingärtner:innen Berücksichtigung finden und das Areal nach sozial-ökologischen Maßstäben geplant wird: Grüne Potenziale nutzen und schaffen, autogerechte Stadt zurückdrängen, sozialverträgliche Mieten statt Luxusbauten! Die Linksfraktion setzt sich für eine Stadtplanung ein, die den Fokus auf Klima- und Flächengerechtigkeit legt und nicht bloß einen hübsch anzusehenden Stadteingang für den Autoverkehr schafft.

Frederike-Sophie Gronde-Brunner

AfD-Fraktion

Die Stadtplanung darf nicht nur einem einzigen Kriterium unterworfen werden. Faktoren wie Effizienz, Beständigkeit und auch Ästhetik sollten das Fundament einer langfristigen Strategie bilden. Überlässt man den Grünen dieses Feld, kommt meist nichts Dienliches dabei heraus. Viel zu oft folgen sie kurzweiligen Trends und setzen dafür Millionen in den Sand. Die Perversion des Ökologie-Begriffs zeigt sich, wenn man hört, dass selbst der Bau von Windrädern im Grunewald für manche Grüne kein Tabu mehr ist. Der Stadteingang West bietet die Möglichkeit, für Berliner als Knotenpunkt zu fungieren und Identität für den Bezirk zu stiften. Die Erfahrungen rot-grüner Bezirkspolitik lassen jedoch das Gegenteil befürchten. Die systematische Benachteiligung des Individualverkehrs ist ein zentrales Element ihrer Agenda und die Neubauten im Bezirk zählten zuletzt eher zur Kategorie moderner Betonwüsten als zu den architektonischen Perlen Berlins. Wir setzen uns für einen Stadteingang West ein, der unserem Bezirk gerecht wird und nicht als schäbiger Hintereingang zur Hauptstadt wahrgenommen wird.

Martin C. T. Kohler

Titelbild

© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023