Berlins leuchtende Zeitmaschine feiert 75. Jubiläum
Die Geschichte der Berlin-Uhr

Erschienen in Gazette Charlottenburg Juni 2025
Im Juni 2025 feiert ein Stück einzigartige Berliner Stadtgeschichte einen runden Geburtstag: Die Berlin-Uhr, vielen auch als Mengenlehre-Uhr bekannt, wird 75 Jahre alt. Einst ein gefeierter Blickfang auf dem Kurfürstendamm, zeigt sie heute am Europa-Center verborgen die Zeit – nicht mit Zeigern oder Ziffern, sondern mit einem faszinierenden Spiel bunter Lichter. Ihre Geschichte spiegelt den Erfindergeist, aber auch die Bürokratie und den Wandel der Hauptstadt wider.
Am 17. Juni 1975 wurde die monumentale Uhr des Erfinders Dieter Binninger im Auftrag des Berliner Senats erstmals auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms an der Kreuzung zur Uhlandstraße enthüllt. Das sieben Meter hohe Bauwerk, das als „erste Uhr der Welt, die die Zeit mit leuchtenden farbigen Feldern anzeigt“ sogar ins Guinness-Buch der Rekorde einzog, war sofort ein „Hingucker“. Ihre ungewöhnliche Art der Zeitanzeige sorgte für Gesprächsstoff und machte sie schnell zu einem Wahrzeichen im Westen Berlins.
Ein Rätsel aus Licht und Feldern
Ihr Funktionsprinzip war revolutionär und für viele zunächst ein Rätsel: Die Zeit wird nicht digital oder analog, sondern durch die Anzahl leuchtender Felder in vier Reihen und ein blinkendes Sekundenlicht dargestellt. Ein oberes Rundlicht blinkt im 2-Sekundentakt. Darunter folgen vier horizontale Streifen: Die erste Reihe mit vier roten Lichtern steht für die Stunden in Fünferschritten (jedes Licht = 5 Stunden). Die zweite Reihe, ebenfalls vier rote Lichter, zeigt die Stunden im Einerschritt (jedes Licht = 1 Stunde). Die dritte Reihe mit elf gelben und roten Lichtern symbolisiert die Minuten in Fünferschritten (jedes Licht = 5 Minuten, wobei die 15er, 30er und 45er Minuten zur besseren Orientierung rot leuchten). Die unterste Reihe mit vier gelben Lichtern zählt die Minuten im Einerschritt (jedes Licht = 1 Minute). Die aktuelle Uhrzeit ergibt sich durch simples Addieren der beleuchteten Felder in den jeweiligen Reihen.
Die oft genutzte Bezeichnung „Mengenlehre-Uhr“ ist dabei irreführend – tatsächlich basiert die Anzeige auf einem Fünfer-Stellenwertsystem und hat nichts mit der Mengenlehre zu tun. Für viele Berliner, besonders die Schuljugend der 70er-Jahre, war das Ablesen anfangs dennoch eine Herausforderung – sehr zum Leidwesen derer, die gerade die ungeliebte Mengenlehre pauken mussten und bei der Frage „Wie spät ist es?“ vor dem bunten Lichterspiel kapitulierten.

Vom Ku‘damm ins Europa-Center: Turbulente Geschichte
So einzigartig ihre Anzeige, so wartungsintensiv war die Technik der Ursprungsuhr. Die unzähligen Glühlampen, anfangs 108 an der Zahl, litten unter den Erschütterungen des Großstadtverkehrs und mussten häufig ausgetauscht werden, was hohe jährliche Kosten von umgerechnet rund 5000 Euro verursachte, die Binningers Firma trug. Erfinder Binninger, ein Elektroniker aus Wedding, entwickelte daraufhin sogar spezielle, langlebigere Glühbirnen und kämpfte zeitlebens gegen ein vermutetes Kartell, das die Lebensdauer von Glühlampen künstlich begrenzte.
Doch der technische Fortschritt und die hohen Betriebskosten wurden der Uhr an ihrem prominenten Standort zum Verhängnis. Nach Binningers plötzlichem Tod bei einem Flugzeugabsturz im Jahr 1991 und mangelnder Bereitschaft von Senat und Bezirk Charlottenburg, die fortlaufenden Betriebskosten zu übernehmen, wurde die Uhr 1995 abgeschaltet.
Ihre Geschichte schien beendet, doch eine Initiative von Geschäftsleuten des nahegelegenen Europa-Centers rettete das einzigartige Zeitmessgerät. 1996 fand die Berlin-Uhr ihren neuen Platz vor dem Tourist-Information-Center am Europa-Center in der Budapester Straße, wo sie seitdem Besucher empfängt – wenn auch etwas versteckter als einst auf dem breiten Mittelstreifen des Boulevards. Uwe Timm, damals Manager des Europa-Centers, sprach laut einem Bericht der Morgenpost von „Asyl“, das der Uhr gewährt wurde.
Modernisiert und doch eine Legende
Am neuen Standort wurde die Uhr saniert und im Jahr 2007 umfassend modernisiert, was die Wartung vereinfachte und möglicherweise energiesparendere Technik einsetzte. Anstatt Glühlampen im Akkord mit einer langen Leiter zu wechseln, wie es anfangs am Europa-Center der Fall war, kümmert sich heute das Haustechnikteam des Centers um das beleuchtete Denkmal. War die Originaluhr auf beiden Seiten beleuchtet, zeigt sie ihre bunte Zeit am neuen Standort nun nur noch zur Budapester Straße hin an.
Auch wenn sie heute nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit wie auf dem Ku‘damm genießt und manch eiliger Passant unwissend an ihr vorbeiläuft, bleibt die Berlin-Uhr eine faszinierende und einzigartige Erscheinung im Berliner Stadtbild – eine „versteckte Legende“, wie die Morgenpost schrieb.
Die Faszination der Berlin-Uhr lebt zudem im Kleinen fort. Schon in den 80er-Jahren populär, werden bis heute Tisch- und Wandmodelle gefertigt, die ein Stück Berliner Nostalgie und Binningers Erfindergeist nach Hause bringen. Die originalgetreuen Nachbildungen werden heute von der Firma Asmetec vertrieben und teilweise sogar noch in Handarbeit in Berlin gefertigt – ein Beweis dafür, dass die Idee der leuchtenden Zeitfelder nichts von ihrem Reiz verloren hat.
Zum 75. Geburtstag im Juni 2025 ist die Berlin-Uhr mehr als nur ein Zeitmesser. Sie ist ein Denkmal für Erfindergeist, ein Zeugnis der Berliner Stadtgeschichte von den 70ern bis heute und ein charmantes, wenn auch etwas exzentrisches Wahrzeichen, das nach wie vor zum Innehalten, Staunen und Entschlüsseln einlädt. Sie mag nicht mehr im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, aber ihre bunten Lichter erzählen auch nach dreiviertel Jahrhunderten noch immer ihre ganz eigene Berliner Geschichte.