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Kurt Hiller mit Gedenkstele geehrt

Park in Schöneberg erinnert an den Aktivisten der ersten Schwulenbewegung

Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Januar 2022
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Die neue Gedenkstele.
Die neue Gedenkstele.

Die Kurt-Hiller-Parkanlage liegt in Schöneberg zwischen U-Bahnhof Kleistpark und Grunewaldstraße, eine Großstadtoase zum Verweilen, für Spiel und Sport. Auf Initiative der Schwusos – den schwulen Jungsozialisten in der Schöneberger SPD – entstand sie im Jahr 2000. Lange Zeit suchte man nach einer seinem Werk und Leben gebührenden Schautafel, die das Schaffen des namensgebenden Schriftstellers und Publizisten deutlich sichtbar machen würde. Diese konnte zum Jahresende 2021 endlich eingeweiht werden. An der Schöneberger Grunewaldstraße informiert nun eine bezirkliche Gedenktafel über Kurt Hiller (1885-1972), der als Vorreiter und wichtigster Theoretiker des literarischen Expressionismus gilt und sich zeitlebens als überzeugter Pazifist aktiv für einen freiheitlichen Sozialismus einsetzte.

Der Namensgeber

Besonders engagierte sich der gebürtige Berliner Kurt Hiller, der das Abitur im Bezirk am Askanischen Gymnasium als Primus Omnium abgelegt hatte, für die Abschaffung der damaligen strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer. 1907 schloss er sein Studium der Rechtswissenschaften mit der Dissertation „Das Recht über sich selbst“ ab. Darin plädierte er bereits für die Abschaffung des § 175. In Berlin entwickelte sich Kurt Hiller, Mitglied der Homosexuellenorganisation „Wissenschaftlich-humanitäres Komitee“ (WhK), an der Seite von Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und als freier Schriftsteller zum Intelektuellen. Er schrieb für die Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“, die u. a. von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky geleitete wurde. Mit Herz und Verstand setzte er sich für Sozialismus, Pazifismus und das von ihm erdachte Staatsmodell einer idealen „Logokratie“ ein, die politische Herrschaft zwischen dem gewählten Parlament und einem Ausschuss der geistigen Intellektuellen-Elite propagierte. Sein Buch „§ 175. Die Schmach des Jahrhunderts“ erschien 1922. Sieben Jahre später wurde Hiller nach Magnus Hirschfelds Rückzug zweiter Vorsitzender des WdK.

Von den Nationalsozialisten wurde der Jurist und Schriftsteller wegen seiner Homosexualität und jüdischen Herkunft, aber auch wegen seiner politischen pazifistischen Gesinnung und WdK-Aktivitäten vehement verfolgt. Dreimal wurde er verhaftet, durchlief drei Konzentrationslager und wurde 1934 entlassen – wie es heißt, auf Fürsprache von Rudolf Heß, dem homosexuelle Neigungen nachgesagt wurden. Hiller floh vor der Gestapo nach Prag und später nach London, wo er den Freiheitsbund Deutscher Sozialisten und die Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren gründete. 1955 kehrte Kurt Hiller nach Deutschland zurück und lebte von da an in Hamburg. Er starb dort 1972. Um die Erinnerung an ihn wachzuhalten und die Öffentlichkeit über ihn zu informieren, wurde im Jahr 2000 die Kurt Hiller Gesellschaft gegründet. Im selben Jahr erhielt auch die kleine Parkanlage an der Grunewaldstraße seinen Namen.

Der Kurt-Hiller-Park

Seit 1997 hatte sich der damalige Schwulenverband für die Ehrung Hillers eingesetzt und zuerst den westlichen Vorplatz des S- Bahnhof Friedenau angedacht. – Schließlich hatte der bekennende Pazifist in der Hähnelstraße 9 gewohnt. Die Schöneberger SPD griff diesen Vorschlag auf, und die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschloss 1998 die Benennung des Vorplatzes. Doch die amtierende Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Grüne) lehnte den Beschluss ab, mit der Begründung, dass die Platzfläche „ungenügend“ sei.

Im Mai 2000 schließlich wurde vom Kulturausschuss der BVV die Umwandlung des an der Grunewaldstraße liegenden Trümmergrundstücks in „Kurt-Hiller-Park“ beschlossen. Erst vier Jahre später brachte man ein erstes biografisches Informationsschild an.

Heute ehren Steinskulpturen des Berliner Bildhauers Ajit Kai Dräger im Park den „Mitbegründer der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung“: Jeder Steinquader ein unumstößliches Mahnmal seines Lebenswerkes, das steinerne Amphitheater ein Sinnbild für Meinungsfreiheit und Verständnis.

Dazwischen klettern Kinder unbeschwert über Wackelbrücken, buddeln die Jüngsten neben steinern schlängelnder Schlangenfigur und bieten zwei Sportplätze Jugendlichen Hand- und Fußball-Gelegenheit. Die Älteren spielen an zwei Boulodromen Boule, und Bänke laden alle zum Chillen.

Die am 16. November 2021 enthüllte Stele ist die erste bezirkliche Gedenktafel in neuem Design, die auch der Barrierefreiheit Rechnung trägt: Durch Hinweise in Brailleschrift sowie einen QR-Code auf der Schautafel gelangen Sehbehinderte auf eine Website mit weiterführenden Informationen. Die Stele würdigt Kurt Hiller als „stilprägenden Publizisten und Vorkämpfer für die Rechte sexueller Minderheiten, der sich um seinen Heimatbezirk verdient gemacht hat.“ – Scheinbar zustimmend blickt das Porträt Heinrich von Kleist´s von benachbarter Brandmauer auf den kleinen Park, mit den Worten: „Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt.“ Und von benachbarter Mauer antwortet Kurt Hiller: „Über die Zukunft zu grübeln, das beste Mittel, sie zu verstehn.“

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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