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Das Seebad Mariendorf und die Familie Lewissohn

Tempelhof Museum erinnert an beliebtes Ausflugsziel und seinen Mäzen

Das Seebad Mariendorf 1928. Foto: Museen Tempelhof-Schöneberg
Das Seebad Mariendorf 1928. Foto: Museen Tempelhof-Schöneberg
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau August 2021
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Passend zum Sommer widmet sich das Tempelhof Museum in seiner Sonderausstellung der Geschichte des Seebad Mariendorf (1876-1950), aber auch der seines Gründers und Betreibers Adolf Lewissohn (1852-1927) und seiner Tochter Helene (1874-1957).

„Kommt schwimmen!“ ruft das Tempelhof Museum nun den Besuchern zu, die es endlich wieder besuchen dürfen: Eine besondere Ausstellung erwartet die ganze Familie im lebendigen Berliner Regionalmuseum, die im charmanten alten Schulgebäude und einstigen Heimatmuseum Tempelhof an der ehemaligen Dorfaue Alt-Mariendorfs Heimatgeschichte vermittelt und in einer kurzweiligen rückwärts gerichteten Zeitreise Einblicke in den Bau des Teltowkanals, die Weimarer Republik, das Nazi-Regime, die Weltkriege und die Nachkriegszeit liefert. Gleichzeitig erzählt die Ausstellung die tragische Geschichte der Familie Lewissohn, als bewegendes Beispiel für unzählige ähnliche Schicksale jüdischer Familien.

Florian Sachse, Wissenschaftlicher Volontär und Kurator der Sonderausstellung, ist es gelungen, nach intensiver Recherche und akribischem Stöbern in alten Archiven mithilfe persönlicher Dokumente, alter Fotos und überlieferter Filmaufnahme dem Betrachter ein komplexes Gesamtbild von Seebad, Historie und Gründerfamilie zu vermitteln. Aufgelockert und vervollständigt wird die wie auf einem Bootssteg durch Damen- und Herrenbad führende Präsentation durch beachtenswerte, nach Originalfotos gestaltete grafisch- scherenschnittähnliche Wandszenen der Künstlerin Friederike von Hellermann. In Pochoir Print-Technik (Schablonendruck) ausgeführt, zeigt die Künstlerin damit eine der ältesten bekannten Drucktechniken. Der Vorschlag für die Sonderausstellung zur Erinnerung an Familie Lewissohn und ihr Seebad kam übrigens aus Reihen der BVV und der Mariendorfer Schwimmerin Bianca Tchinda.

Adolf Lewissohn und die Glanzzeit des Seebades

Der erfolgreiche Kaufmann und gebürtige Tempelhofer Adolf Lewissohn, von dem es leider kein persönliches Foto gibt, ließ 1872 die sumpfigen Wiesen- und Wasserflächen aus väterlichem Besitz ausbaggern und eröffnete 1876, nachdem er auf dem rund 25.000 Quadratmeter großen Gelände neben einem Wohnhaus auch einen geräumigen Restaurantbau hatte errichten lassen, das Seebad Mariendorf. Die Badeanstalt lag mit dem Haupteingang an der Südseite der Ullsteinstraße zwischen heutigem Mariendorfer Damm und Rathausstraße und reichte bis zur Markgrafenstraße. Anfangs zum Kreis Teltow gehörig, galt sie – 1920 zu Groß-Berlin eingemeindet – schon bald als Berlins schönste Badeanstalt.

Geschäftstüchtig nutzte der Kaufmann, der als rechte Hand des Tempelhofer Bürgermeisters galt, im Winter die ungenutzten Eisflächen zur „Eisernte“. Das gewonnene Natureis ließ er in firmeneigenen Eiswagen an Lokale, Lebensmittelgeschäfte und Brauereien ausliefern.

Über erfolgreiche Immobiliengeschäfte legte Adolf Lewissohn die Grundlage für das 1901 errichtete Gaswerk Mariendorf, das durch die Versorgung des südlichen Berliner Raumes zum wichtigsten Steuerzahler Mariendorfs wurde und Wohlstand brachte. Der sehr sozial engagierte Kaufmann erweiterte nun kontinuierlich Wasserbecken und Parkanlagen und holte Schwimmlehrer in seine Badeanstalt dazu: Nur etwa drei Prozent der Bevölkerung konnten zu dieser Zeit schwimmen, und jährlich ertranken etwa 8.000 Menschen beim Baden in Naturgewässern. Bis zu 4.000 Wasserfreunde und Erholungssuchende täglich besuchten nun an heißen Tagen das Seebad Mariendorf, das auch Schulschwimmen anbot. Anfangs konnte das Bad noch mit der Pferdebahn, später dann per Straßenbahn erreicht werden. Über Jahrzehnte war das Seebad streng in Damen- und Herrenbereich getrennt.

Während im Herrenbad Drei-Meter-Sprungturm und der Schwimmsport im Vordergrund standen, war das Damenbad mit Grotte, Wasserfall, Palmengarten, Goldfisch- und Karpfenteichen eher auf erholsames Verweilen und Flanieren am Wasser ausgerichtet.

1910 war der Ausbau des Seebades abgeschlossen, das mit seiner 130 Meter langen Schwimmbahn, eigenem Brunnen, Frischwasserpümpe und Riesenwasserbecken damit Wettkampfqualität besaß und 1912 zu Ausscheidungswettkämpfen für die Olympischen Sommerspiele in Stockholm genutzt wurde. Regelmäßig trainierten Vereine, Sportschwimmer und Wettkampfschwimmer auf der Anlage, darunter auch Mitglieder des1895 gegründeten und bis heute bestehenden BSV Friesen 1895, dessen Ehrenmitglied Adolf Lewissohn war.

Im Ersten Weltkrieg wurde das Restaurantgebäude mit seinen Sälen, in denen in Friedenszeiten bis zu 7.000 Gäste bewirtet werden konnten, zum Notlazarett umfunktioniert. Zusätzliche Baracken für Verwundete kamen am Teltowkanal dazu, so dass rund 400 Kriegs-Patienten auf dem Areal untergebracht werden konnten.

Helene Lewissohn und die dunklen Zeiten

Nach dem Tod Lewissohns übernahm 1927 seine Tochter Helene das Seebad. Doch mit dem Nationalsozialismus kamen auch die wirtschaftlichen Einbrüche für das Bad. Dennoch fand anlässlich seines 55-jährigen Bestehens 1931 eine Festwoche unter dem Motto „Seebad in Flammen“ statt. Anlässlich des Jubiläums bewirtete Helene, die das soziale Engagement ihres Vaters weiterführte, hundert bedürftige Frauen aus Mariendorf mit Kaffeemengen und Kuchenbergen, die kaum zu verbrauchen waren.

Diesen wohl letzten strahlenden Tagen unter den Lewisssohns folgten 1933 „Arisierung“ und Zwangsverwaltung. Erzwungenermaßen musste Helene 1934 den östlichen Teil des Seebades an das NSDAP-Mitglied Paul Hilgner verkaufen. Doch nach Ablauf aller in Rechnung gestellten Verbindlichkeiten verblieben der Tochter des einstigen Mäzens und Gründers ganze 151,52 Mark. Der von Hilgner „gekaufte“ Grundstücksteil wurde „Kameradschaftsheim“ der C. Lorenz AG. 1939 wurde der in Helenes Besitz verbliebene westliche Anteil des Bades weit unter Preis zwangsversteigert.

Im Zweiten Weltkrieg waren in dem einst prächtigen Seebad u. a. ein Reservelazarett und ein Zwangsarbeiterlager untergebracht, Schmerz und Tränen beherrschten nun den Ort, der einst vom Lachen badender Kinder und erholungssuchender Erwachsenen widergehallt hatte. Helene Lewissohn, als Halbjüdin verfolgt und geächtet, versteckte sich bis Kriegsende in einer Gartenlaube. Nach dem Krieg klagte sie vergeblich auf Wiedergutmachung, um Entschädigungsleistungen für den Verlust des Familienbesitzes und um Rückübertragung. Unfähig, die Gerichtkosten zu bezahlen, musste sie sich zu allem Unglück auch noch der Zwangsvollstreckung stellen und leistete 1953 den Offenbarungseid.

Danach lebte sie zurückgezogen und verarmt in Tempelhof, wo sie 1957 im Wenckebach-Krankenhaus verstarb. Einen Hinweis auf die Familie Lewissohn sucht man heute vergebens im Bezirk.

Das Seebad verfiel zusehend im Krieg, wurde aber 1945 wiedereröffnet und zählte noch einmal für eine kurze Nachkriegszeit an heißen Tagen um die 5.000 Besucher. Doch das Wasser verschlammte, denn die Frischwasserzufuhr war unterbrochen, und überall wurde dringender Sanierungsbedarf sichtbar. Noch einmal fand im Garten an den Seeterrassen eine Modenschau statt und erinnerte an die Glanzzeiten des Bades. Das Technische Hilfswerk nutzte für kurze Zeit das Seebad als Übungsgelände. 1950 schließlich wurde es zugeschüttet und abgerissen.

Ein Freischwimmerzeugnis, das noch in den letzten Tagen der Badeanstalt ausgestellt worden war, erinnert in der Sonderausstellung an das einst so beliebte Seebad Mariendorf.

Heute steht auf seinem Gelände das Seniorenzentrum an der Ullsteinstraße. Im Eingangsbereich erinnert die Replikation einer Postkarte an das einstige strahlende Seebad: Auf dem Gelände ist lediglich ein trauriger Rest Findlinge der von Lewissohn erbauten Seegrotte übriggeblieben.

In seinem vollen Glanz erstrahlt das Seebad Mariendorf noch mindestens bis zum 10. Oktober 2021 im Tempelhof Museum, das mit dieser gelungenen Sonderausstellung auch Adolf Lewissohn und seiner Familie ein ganz besonderes Denkmal gesetzt hat.

Öffnungszeiten bei kostenfreiem Eintritt voraussichtlich Mo. – Do. von 10 bis 18 Uhr, Fr. von 10 bis 14 Uhr und So. von 11 bis 15 Uhr. Gruppen und Schulklassen bitte voranmelden. Bitte Pandemieauflagen beachten!

Weitere aktuelle Informationen unter www.museen-tempelhof-schoeneberg.de/uebersicht-tempelhof-museum.html

Jacqueline Lorenz

Tempelhof Museum

Alt-Mariendorf 43, 12107 Berlin

www.museen-tempelhof-schoeneberg.de

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