Gazette Verbrauchermagazin

Nachhaltige Begegnungsstätte für Bücher- und Regenwürmer

Eva-Maria-Buch-Haus in Tempelhof bietet naturnahe Projekte für Jung und Alt

Nadja Gragert-Klier und Dagmar Giesecke stehen für das ideenreiche Team der Bezirkszentralbibliothek im Eva-Maria-Buch-Haus.
Nadja Gragert-Klier und Dagmar Giesecke stehen für das ideenreiche Team der Bezirkszentralbibliothek im Eva-Maria-Buch-Haus.
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau April 2021
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Der Betonbau aus den 70er-Jahren macht in der Tempelhofer Götzstraße mit seinen grünblauen Fensterrahmen neugierig auf das, was sich dahinter verbirgt: Auf den verschiedenen, mit etwa 90.000 ausleihbaren Büchern, Medien und digitalen Angeboten bestückten Etagen der Bezirkszentralbibliothek, die seit 1993 nach der im Nationalsozialismus aktiven Widerstandskämpferin Eva-Maria Buch benannt ist, finden kleine Bücherwürmer und große Leseratten reichlich Futter. Doch auch Natur- und Gartenfreunde kommen hier auf ihre Kosten, verfügt das Haus doch über zwei öffentlich begehbare, rund 170 Quadratmeter große Lesegärten und einen nichtöffentlichen Gartenbereich. – Das Potential dieser naturnahen, bis dahin eher unbeachteten Gartenflächen als attraktive Begegnungsorte haben findige Bibliotheksmitarbeiter des 30-köpfigen Teams wie Nadja Gragert-Klier und ehrenamtlich Engagierte wie Dagmar Giesecke gut erkannt. Nun schaffen sie dort – ideenreich unterstützt von der Medienwerkstatt und angeschoben von der Kulturstiftung des Bundes – eine naturnahe Begegnungsstätte, in der Bücherwürmer mit Regen- und Kompostwürmern in direkten Kontakt treten können und in die Weiterentwicklung des Projektes mit einbezogen werden.

Bücher, Bienen und Beete

Bei unserem Besuch zeigen sich im Lesegarten schüchtern erste Krokusse, und die im Herbst in gemeinsamer Projektarbeit gesteckten Tulpen recken erstes Grün in die noch kühle Frühlingsluft. Doch bald werden hier auf den Hochbeeten Tomaten, Chili und Salat sprießen, das Kräuterbeet mit Salbei, Minze und Petersilie wird frische Farbe bekennen und der Igel sein Winterquartier im Laubhaufen hinter den Rosen verlassen, um den Lesegarten über das Gartenjahr schneckenfrei zu halten. Und die aus der Imkerei und Honigmanufaktur Kaiserhonig stammenden Bienenvölker, die vor der Kinderbibliothek und im nichtöffentlichen Terrassenbereich Quartier bezogen haben, werden in die Blütenwelt der Bibliotheksumgebung ausfliegen und leckeren Honig versprechen.

An diesem Märzmorgen aber lassen sich nur wenige der fleißigen Sammler am Flugloch sehen, dafür begrüßen mich Nadja Gragert-Klier und Dagmar Giesecke in dem umweltfreundlichen Naturrefugium der Zentralbibliothek.

Dagmar Giesecke arbeitete bis zum Renteneintritt in Bielefeld als Stadt-Archivarin, lebt heute wieder in ihrer Heimatstadt Berlin und engagiert sich mit einem grünen Daumen, der sich sehen lassen kann, seit vorigem Jahr ehrenamtlich für das Gartenprojekt der Medienwerkstatt der Bezirkszentralbibliothek. „Ruhestand“ ist ein Fremdwort für sie, die mit Begeisterung alte Friedhöfe erwandert, um die berührenden Lebensgeschichten dort Bestatteter mithilfe gekonnter Recherche-Arbeit ans Licht zu holen und unvergessen zu machen. „Als ich über den Lehrgarten einer Laubenkolonie, die Kompost und Pflanzen an die Bibliothek gespendet hatte, von dem Gartenprojekt hörte, wollte ich sofort dabei sein“, erklärt sie. Sie setzte sich mit der Bibliotheksleitung in Verbindung. An ihrer grünen Seite weiß sie nun Mitarbeiter der von Michael Ruhnke geleiteten Bezirkszentralbibliothek ebenso wie ehrenamtliche Helfer, von denen es aber ruhig ein paar mehr sein dürften. Auf das aber, was bis jetzt gemeinsam im Lesegarten erreicht wurde, sind sie und Nadja Gragert-Klier stolz. „Allein die Beete vom Totholz zu befreien, war viel Arbeit“, erzählt Dagmar. Hinzu kam die Bestückung der Hochbeete, Anlegen einer Komposttonne, eine Blumenzwiebel-Börse sowie das Setzen junger Pflänzlein – und dann kamen die Bienen, von denen die ersten Völker im nichtöffentlichen Bereich einzogen und zwei weitere nun auf der Leseterrasse vor der Kinderbibliothek wohnen. Insgesamt sollen einmal 15 Völker an der Zentralbibliothek stehen.

Begegnungsstätte Lesegarten

Das Ziel der naturnahen Aktionen bringt Nadja Gragert-Klier auf den Punkt: „Längst ist die Zeit vorbei, in der Bibliotheken ausschließlich zum Lesen, Arbeiten und Lernen aufgesucht und genutzt wurden, heute werden sie darüber hinaus als Begegnungsstätten mit zeitgemäßen Freizeitangeboten gewünscht. Es gilt zunehmend, auch Außenbereiche in unsere Planungen mit einzubeziehen.“ Diesem Leser-Anspruch in Vorbildfunktion gerecht zu werden, lassen sich Mitarbeiter der Bezirkszentralbibliotheks-Medienwerkstatt und Ehrenamtliche manch spannendes Projekt einfallen und bieten dazu naturverbundene Workshops oder organisieren Lesungen im Freien – Angebote, die nicht nur für Pandemie-Zeiten vielversprechend klingen, auch wenn Corona ein gutes Stück dazu beigetragen haben dürfte, Natur und Umwelt wieder mehr in unseren Focus und Lebensmittelpunkt zu rücken.

Für die angelaufene Gartensaison jedenfalls erwarten zahlreiche, auf bestehende Abstands- und Hygieneregeln zugeschnittene Projekte die kleinen und großen Naturfreunde der Tempelhofer Leserschar.

Gerade freuen sich Mitarbeiter und Ehrenamtliche über fast 2.000 Euro aus FEIN-Mitteln, mit denen Gartenmöbel und Gartenwerkzeug angeschafft werden sollen. „Denn bis jetzt habe ich immer meine eigenen Gartenutensilien mitgebracht“, erklärt Dagmar Giesecke.

Nadja Gragert-Klier ergänzt: „Unsere aktuelle Saatgut-Tauschbörse wird im Laufe des Aprils um eine Börse für Setzlinge erweitert werden.“ Aktuell steht am Eingang der Zentralbibliothek ein Tisch mit von den Bibliotheks-Mitarbeitern liebevoll bunt-gestalteten Samentütchen und passender Literatur: Da bittet Cherry-Tomaten-Samen, mitgenommen zu werden, und im Gegenzug kann vom Leser im Tauschverfahren gerne Samen seiner Wahl dazugelegt werden. Das passende Buch zur Tomatenzucht kann dann gleich mit ausgeliehen werden.

Als nachhaltige „Give Aways“ erwarten kleine Leser und Workshop-Nutzer spezielle Samentütchen mit bienenfreundlichen Samen, dazu grüßt Biene Maja aus dem Bücherregal.

Gut vorstellen können sich Nadja und Dagmar für die Zukunft auch einen Lehrbienenstock auf der Terrasse vor der Kinderbibliothek, um dem Lesernachwuchs lehrreiche und spannende Einblicke in das Leben der Bienen zu gewähren.

Fachliche Unterstützung erwartet sie auch dabei von „ihrem“ Alt-Tempelhofer Hausimker Kristian Kaiser. Doch was wären Bienen ohne Honig? Und so plant die Bibliothek schon heute für den Herbst ein öffentliches Honigschleudern mit süßen Kostproben. – Unverzichtbar auch dabei das passende Medienangebot des Hauses, das alle Projekte vervollständigt.

„Bibliothek heute“ – Ausblicke

Aus den letzten grünen Tomaten der Saison 2020 und den Chilis kochte Dagmar im vergangenen Jahr schmackhafte Chutneys, die sich die Mitarbeiter bei den Mahlzeiten im Garten dann schmecken ließen.

Für dieses Jahr planen die Beteiligten, die Verwertung der angebauten Früchte gemeinsam mit Interessenten anzugehen – wenn die Pandemie es erlaubt.

Und im Spätherbst soll der bereits im vergangenen Jahr erfolgreich gestartete Workshop zum Herstellen von Winterfutter für unsere gefiederten Freunde wiederholt werden.

Dahinter aber sollen die beliebten Lesungen keineswegs ins Hintertreffen geraten, verstärkt an attraktiven Orten im Freien wie dem Lesegarten, aber auch auf dem Südgelände oder im Wald stattfinden; und sollte es regnen: Bibliotheks-Stockschirme sind vorhanden.

Attraktive Ideen gibt es also reichlich. Sie gemeinsam umzusetzen, sind Interessierte, die sich in der Bezirkszentralbibliothek ehrenamtlich engagieren möchten, herzlich willkommen. Sie können sich unter der E-Mail-Adresse stabi-anmeldung@ba-ts.berlin.de melden.

Übrigens: Angedacht als nächste öffentliche Veranstaltung im Freien ist von der Bezirkszentralbibliothek im Eva-Maria-Buch-Haus für den 20. Mai 2021 mit Voranmeldung die Autorenlesung der BVG-Fahrerin Susanne Schmidt, die mit ihrem Buch „Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei“ aus ihrem Berliner Berufsleben erzählt.

Coronabedingt bitte aktuelle Veranstaltungs-Angaben beachten unter www.berlin.de/stadtbibliothek-tempelhof-schoeneberg/bibliotheken/bezirkszentralbibliothek/

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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