Gazette Verbrauchermagazin

Kolonie „Am Stadtpark 1“ – welche Opfer verlangt die „Wachsende Stadt“?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Juli 2020
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Schule oder Kleingärten – die Flächen in Berlin sind umkämpft. Nun sollen Teile der Kolonie „Am Stadtpark 1“ weichen, so sieht es der aktuelle Flächennutzungsplan vor. In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

Die wachsende Stadt verlangt keine Opfer, vielmehr Kompromisse, die durch Abwägen der unterschiedlichsten Notwendigkeiten für ein funktionierendes, zukunftsorientiertes Zusammenleben in unserem Bezirk erzielt werden müssen. Diese Diskussion kommt nun auf die Kolonie am Stadtpark zu. Von den 129 Kleingärten sind 97 langfristig gesichert, 13 weitere sind in Privatbesitz und können darum nicht gesichert werden. Über die Fläche der noch verbleibenden 19 Kleingärten wird nun wegen einer geplanten – nicht entschiedenen – Erweiterung der angrenzenden Schule nachgedacht. Dieses Nachdenken muss genauso erlaubt sein, wie die Reaktion der Kleingärtner*innen, die ihre Parzellen erhalten wollen. In diesem Prozess müssen auch von der Bezirkspolitik die Argumente gut abgewogen und es darf kein schnelles Urteil gefällt werden. Zumal für diese Schule nicht der Bezirk zuständig ist, sondern das Land Berlin. Darum muss mit dem Senat, der Schule, den Kleingärtner*innen und Anrainer*innen die Argumente ausgetauscht und nach einer Lösung gesucht werden. Sachlich und möglichst ohne Polemik. Die Abgeordneten – nicht die Bezirksverordneten – müssen am Ende entscheiden.

Wolfgang Tillinger

CDU-Fraktion

Es ist Aufgabe der Politik, die unterschiedlichen Bedürfnisse in einer von der Bevölkerungszahl her wachsenden Metropole miteinander zu vereinen – gerade Flächenkonkurrenzen sind hier eine der Schlüsselfragen. Bei den notwendigen Entscheidungen müssen die Betroffenen „mitgenommen“ und es müssen gemeinverträgliche Alternativen gesucht werden. Im neuen Entwurf des Kleingartenentwicklungsplans hat der Senat eine Teilfläche der Kolonie ohne Beteiligung der Betroffenen und der üblicherweise mitberatenden Gremien und Verbände als Baufläche für die Wangari Maathai International School ausgewiesen – für Anwohner & Kleingärtner eine Zumutung, nur wenige hundert Meter Luftlinie von der internationalen Nelson Mandela Schule entfernt nicht nachvollziehbar. Schulplanung sollte die gesamte Stadt im Auge behalten! Die Namensgeberin der Schule wurde für ihr Umweltengagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt – mit ihrem Namen für die Vernichtung wertvollen Stadtgrüns zu stehen, wäre ganz gewiss nicht in ihrem Sinne gewesen. Geboten ist daher die dauerhafte Sicherung der Kleingartenanlage & die Ausweisung eines Alternativstandortes für die Schule. Alles andere wäre schlichtweg ein Akt politischer Ignoranz – das Bürgerinteresse würde durch den rot-rot-grünen Senat mit Füßen getreten!

Gerald Mattern

B‘90/Grünen-Fraktion

Berlin leidet unter Wachstumsschmerzen. Das erhebliche Bevölkerungswachstum der letzten Jahre hat zu einem Mangel an Wohnraum, Kita- und Schulplätzen geführt. Besonders in unserem dicht bebauten Bezirk führt das zu einer starken Konkurrenz um Flächen. Die grüne Fraktion des Bezirks hat sich hier klar positioniert: Gewidmete Grünflächen sollen nicht bebaut werden! Sind doch die grünen Oasen in der Stadt Regenerationsraum und Familienrefugium. Gerade jetzt hat sich gezeigt, wie wichtig Grünflächen wohnortnah in der Stadt sind.

Die Gartenfreunde öffnen ihre Kolonien. In den Gärten Am Stadtpark I finden regelmäßig Veranstaltungen statt, es gibt Gärten für Schule und Kitas sowie zum Mitmachen.

Der Senat entscheidet über den Kleingartenentwicklungsplan. Die Senatsbildungsverwaltung will die Kolonie Stadtpark 1 für einen Erweiterungsbau der benachbarten Wangari-Maathai-Schule nutzen. Aus grüner Sicht hat der Senat aber noch nicht alle baulichen Optionen und mögliche Alternativen geprüft.

Die Preisgabe einer grünen Idylle für die Schulerweiterung einer nach Wangari Maathai – der Begründerin des Green-Belt-Movements in Afrika – benannten internationalen Schule, wäre jedenfalls ein Jammer.

Sibylle Centgraf, Jenny Wieland

FDP-Fraktion

Die Kolonie wurde 1919 nach den Hungerjahren gegründet, damit sich Wilmersdorfer selbst mit Obst und Gemüse versorgen konnten. Heutzutage haben Kleingartenanlagen eine wichtige Ausgleichs- und Erholungsfunktion. Allerdings gelten sie auch als Bauerwartungsland und daher stellt sich eher die Frage, inwieweit das Vorhalten von Kleingartenflächen auf öffentlichem Grund und Boden in der Innenstadt bei stetig wachsendem Bedarf an Flächen und Immobilien verantwortungsvoll ist. Im Einzelfall sollte immer geprüft werden, ob die Erholungsbelange nicht den Interessen einer innerstädtischen Entwicklung und Verdichtung – insbesondere innerhalb des S-Bahn-Rings – unterzuordnen sind.

Das Areal um die Kolonie hat sich mit den Jahren zu einem vielfältigen Bildungsstandort entwickelt. Seit 2017 gehört die Wangari-Maathai Schule dazu. Mit einem internationalen Profil und dem Unterricht in englischer Sprache hat sie in der City-West großen Zuspruch erfahren, sodass der Freie Träger einen Anbau errichten will, um ein Hochwachsen in die Sekundarstufen zu ermöglichen. Der Kleingartenentwicklungsplan sieht in seinem Entwurf für die Schulerweiterung eine Baufläche von 16 Prozent der Gesamtfläche der Kolonie vor. Aus Sicht der FDP-Fraktion ist dies eine vertretbare und verhältnismäße Nutzungsänderung, insbesondere da es sich hier um eine urbane Verwertung innerhalb des S-Bahn-Rings handelt.

Stephanie Fest

AfD-Fraktion

Kleingärten sind anerkanntermaßen Lebensräume zahlreicher, auch seltener Tiere und Pflanzen und damit angesichts des dramatischen Rückgangs autochthoner Arten bei gleichzeitigem Vordringen von invasiven neuen Arten aus fremden Ökosystemen Biotope von großer Bedeutung. Auch die Versorgung mit wohnungsnahen Grünanlagen, die Schutzwürdigkeit der Böden, stadtklimatische Aspekte sowie das bürgerschaftliche Engagement der Kleingärtner und die – bisher unzureichend gewürdigte – gartengeschichtliche Bedeutung sind wichtige Argumente für deren Erhaltung.

Die 1919 gegründete Kleingartenkolonie Am Stadtpark I an der Babelsberger Straße weist, mit 119 Parzellen auf 2,7 Hektar, zum Teil noch alte und sehr alte Lauben und einen alten, wertvollen Obstbaumbestand auf. Dass der rot-rot-grüne Senat nunmehr im neuen Kleingartenentwicklungsplan beabsichtigt, 19 Parzellen dieser Kolonie zugunsten der Erweiterung einer erst seit 2017 bestehenden Schule zu „opfern“, ohne die Betroffenen vorher auch nur anzuhören, ist Ausdruck einer bürgerfeindlichen Kettensägenpolitik und obrigkeitsstaatlicher Planungspraxis, die nicht hinzunehmen ist, zumal es mehrere denkbare Alternativen für die Schulerweiterung gibt.

Markus Bolsch

Linksfraktion

Die Kleingartenkolonie am Stadtpark 1 ist eine Oase der Ruhe und Erholung inmitten der lärmenden Stadt. Mit ihren Gärten und offenen Begegnungsstätten bietet sie nicht nur Naturerleben für die ansässigen Kleingärtner*innen, sondern auch für die breite Bevölkerung unseres Bezirkes. Doch nun ist dieses Kleinod in Gefahr, denn es soll nach Plänen der Berliner Verwaltung eine Erweiterung der benachbarten Wangari-Maathai-Internationalen Schule erfolgen, wofür ca. 19 Gärten der Kolonie weichen müssten. Wir als LINKE begrüßen zwar jegliche Form der Stärkung von sozialer Infrastruktur, wozu auch Schulen und Kindertagesstätten gehören, nur darf dies nicht auf Kosten von Kleingärten und viel genutzten Grünflächen geschehen. Schließlich machen erst die bewachsenen Freiflächen, Kleingärten und Parkanlagen unseren Bezirk zu einem lebenswerten Ort in einer urbanen Stadt, wie Berlin. Daher appellieren wir sowohl an die Vertreter*innen der Schule, als auch an die Verwaltungen im Bezirk und Land mit den Kleingärter*innen und Anwohnenden, eine für alle gute und konstruktive Lösung zu finden und setzen uns auch dafür ein, dass sowohl eine Verbesserung der Situation der Wangari-Maathai-Schule als auch ein Erhalt der Kleingartenkolonie ermöglicht werden kann.

Sebastian Dieke

Titelbild

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