Pfarrhaus mit Kanonenkugel
Vor 100 Jahren bekam Pfarrhaus Giesensdorf seine heutige Gestalt

Erschienen in Lankwitz & Lichterfelde Ost Journal August/September 2025
Im südlichen Bereich von Lichterfelde, am Ostpreußendamm 64, steht ein architektonisch interessantes Gebäude: das Pfarr- und Gemeindehaus der Petrus-Giesensdorf-Gemeinde, das vor 100 Jahren sein jetziges Erscheinungsbild bekam.
Von Ghiselbrechtsdorp zur Villenkolonie Lichterfelde
Die Geschichte von Giesensdorf reicht weit zurück, bis ins Jahr 1299, als der Ort als „Ghiselbrechtsdorp“ erstmals urkundlich erwähnt wurde. Der Name verweist auf einen Lokator namens Ghiselbrecht, der im Zuge der deutschen Ostsiedlung den Auftrag erhielt, hier Siedler anzuwerben und eine neue Siedlung zu gründen. Das Leben auf dem kargen Boden des Teltow war hart, geprägt von Überschwemmungen und geringen Ernten. Dennoch behauptete sich das Dorf über die Jahrhunderte, überstand den Dreißigjährigen Krieg, die Pest und die napoleonischen Kriege. Der Mittelpunkt des Dorflebens war stets die alte Feldsteinkirche.

Eine besondere Erinnerung an die Napoleonische Zeit ist eine Kanonenkugel, die der damalige Giesensdorfer Pfarrer Mulzer nach der Schlacht bei Großbeeren 1813 auf einem Feld fand und in die Wand des damaligen Pfarrhauses einmauern ließ. Das später erbaute Pfarrhaus von 1869/70 ist bis heute in den Komplex integriert, auch die Kanonenkugel fand an der Fassade ihren Platz.
Das Ende des eigenständigen Dorfes Giesensdorf kam mit dem späten 19. Jahrhundert. Der Unternehmer Johann Wilhelm Anton von Carstenn kaufte das verschuldete Rittergut Giesensdorf sowie das benachbarte Lichterfelde auf. Sein Plan: die Gründung einer Villenkolonie für wohlhabende Berliner, die ein Leben im Grünen suchten. Carstenn vereinte die Orte zu „Groß-Lichterfelde“, parzellierte die Äcker und schuf so die Basis für den Stadtteil, wie wir ihn heute kennen. Vom alten Giesensdorf blieben nur die Dorfkirche und das Pfarrhaus als historische Zeugen erhalten.

Erweiterungsbau in den 1920er-Jahren
In den frühen 1920er-Jahren wuchs die Gemeinde und benötigte dringend größere Räumlichkeiten. Das Konsistorium beauftragte die renommierten Architekten Bruno Möhring und seinen Büropartner Hans Spitzner mit dem Ausbau des bestehenden Pfarrhauses. Zwischen 1924 und 1925 entstand so der heute bekannte Erweiterungsbau mit seinem großen Saal. Möhring, eine bedeutende Figur des Jugendstils und Mitglied des Deutschen Werkbundes, schuf gemeinsam mit Spitzner einen Bau, der sich stilistisch an der Architektur „um 1800“ orientierte, aber moderne Züge des Art déco aufwies. Ein Turm mit Laterne und Uhr sowie das repräsentative, reich verzierte Eingangsportal waren Blickfänge an dem Gebäude.

Mit der geschickten Integration des alten Pfarrhauses bewies Möhring einmal mehr sein Talent für die Weiternutzung vorhandener Bausubstanz. Am 29. November 1925 wurde das neue Gemeindehaus feierlich eingeweiht und steht heute als Teil des Ensembles unter Denkmalschutz.

Ein Haus im Wandel der Zeit
Der Zweite Weltkrieg hinterließ auch in Giesensdorf tiefe Spuren. Die historische Dorfkirche brannte 1943 nach einem Bombenangriff bis auf die Grundmauern nieder. Das Gemeindehaus wurde ebenfalls beschädigt. In der Nachkriegszeit fand es eine neue, besondere Aufgabe: Die Glocken der zerstörten Kirche, die dem Einschmelzen für Kriegszwecke entgangen waren, wurden auf dem Stumpf des beschädigten Turms des Gemeindehauses installiert. Dort riefen sie die Gemeinde für viele Jahre zum Gottesdienst, bis sie aus statischen Gründen abgenommen und eingelagert werden mussten.