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Kunstinstallation mit Nachklang

„Ewiger Anklang“ als Denkzeichen für Siegfried Translateur

Schritt halten mit der Klanginstallation.
Schritt halten mit der Klanginstallation.
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Juni 2024
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In Höhe Pallasstraße 4 erinnert in Schöneberg einiges an die düsteren Jahre unserer Geschichte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des vierstöckigen, im zweiten Weltkrieg erbauten Hochbunkers Pallasstraße – auch als Sportpalastbunker bekannt – liegen drei Stolpersteine, die an die verschleppte und ermordete Familie Betty, Hans und Peter Lippmann erinnern. Wo einst im Sportpalast Propagandaminister Goebbels am 18. Februar 1943 die verheerende Frage „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ stellte, bestimmt heute die denkmalgeschützte, zwischen 1974 und 1977 erbaute „Pallaseum“-Wohnanlage das Stadtbild. An diesem geschichtsträchtigen Ort hat Klangkünstlerin, Komponistin und US-Amerikanerin Chelsea Leventhal mit ihrer gegensätzlichen Klangkunstinstallation „Ewiger Anklang“ ein ganz besonderes Denkzeichen gesetzt, das sowohl an die Gräueltaten der Nazis als auch an den Sportpalast als ein Bauwerk erinnert, in dem viele Berliner beim legendären Sechstagerennen gutgelaunt den „Sportpalastwalzer“ mitpfiffen. Dass dieser Walzer 1892 dem Komponisten Salo Siegfried Translateur aus der Feder floss und eigentlich „Wiener Praterleben“ heißt, wissen die Wenigsten. Translateur kam, als „jüdischer Mischling“ denunziert, etwa ein Jahr nach seiner Deportation am 2. März 1944 in Theresienstadt zu Tode. Fast genau 80 Jahre später, am 11. März 2024, wurde ihm zu Ehren nun die Klang-Installation eingeweiht, „die in öffentlichem Stadtraum Neugier für die Geschichte schaffen und die Auseinandersetzung mit der Geschichte gegen das Vergessen zulassen soll“, wie die Künstlerin bei der Einweihung betonte.

Installation „Ewiger Anklang“

Kunst und Gedenken sinnvoll in einer an Siegfried Translateur erinnernden Klangkunst-Installation zu vereinen, war die Aufgabenstellung des nicht offenen, anonymen und einphasigen Wettbewerbs, dem sich fünf Kunstschaffende gestellt hatten. Mit ihrem sich der baulichen Umgebung sicher einfügendem Entwurf überzeugte schließlich Chelsea Leventhal die Jury voll und ganz: „Was ich hier sehe, ist nicht alles“, soll sich der an der Installation Verharrende sagen und diesen Gedanken als Einstieg in wichtige Erinnerungsarbeit mit nach Hause nehmen. – So wünscht es sich Chelsea Leventhal, die ihr optisch und akustisch forderndes Kunstwerk in steter Präsenz sieht. Fachkundig unterstützt von u. a. einer Berliner Tanzschule und einem Kreuzberger Steinmetz konnte ihre Idee auf den Boden-Betonplatten in Höhe des Hauses Pallasstraße 4 in Form einer ganz besonderen Gedenktafel realisiert werden. Dort fordern nun Walzer-Tanzschritte, als verblasst wirkendes Piktogramm auf die Bodenplatten aufgebracht und erst beim zweiten Hinsehen genauer erkennbar, zum Nachdenken und Verharren oder aber zum heiteren Drehen im Walzertakt. Vervollkommnet wird dieses optisch dichotome Denkzeichen von der dazugehörigen Audio-Komposition der Künstlerin, die diese als gelungene akustische Collage für jeden erlebbar macht. Über den auf Pflaster und Schild gebannten QR-Code, kann das „Hörspiel“ über Smartphone und Handy abgerufen werden. Auf Arabisch, Türkisch, Englisch und Deutsch geben vier Sprecherinnen darin die Biographie Translateurs wieder. Ein Auf- und Abstieg seines Lebens, untermalt von Auszügen seiner Musik. – Mal heiter klingend und für die Hochzeit seines Lebens stehend, dann aber als Widerhall seiner späteren Bedrohung und Zerstörung nur verzerrt in gebrochenen Tonfragmenten verhallend. – Bitter anmutend der Auszug aus einer anlässlich seines 50. Geburtstages im Jahr 1925 ihm zu Ehren gehaltenen Rede: „...Wer kennt nicht diesen liebenswürdigen Meister der leichten Muse?...“

Der Meister und sein Werk

Am 19. Juni 1875 wurde Salo Siegfried Translateur in Bad Carlsruhe in Oberschlesien geboren. Anlässlich der Kunstwerk-Einweihung in Schöneberg ließ die Bürgermeisterin seines Geburtsortes im heutigen Polen ausrichten, dass man anlässlich seines 150. Geburtstages im Juni am Ort seines Geburtshauses eine Gedenktafel enthüllen werde.

Diese Ehre wurde dem Komponisten an seinem letzten Berliner Wohnort in der Wilmersdorfer Güntzelstraße 15 noch nicht zuteil, auch zwei Stolpersteine für ihn und seine Frau könnte man sich dort gut vorstellen. Nach Berlin war Salo Translateur im Jahr 1905 als Kapellmeister gekommen, nachdem er sich nach erfolgreichen Musik-Studien in Breslau, Wien und Leipzig bereits einen Namen als Meister der leichten Muse gemacht hatte. Er gründete in Berlin 1911 seinen Musikverlag „Lyra“, in dem er als eigene Werke vorwiegend Märsche und Walzer verlegte sowie Musikstücke anderer Komponisten. Mit seiner Kapelle trat er bei Veranstaltungen und in Ballhäusern auf.17-jährig hatte er in Wien bereits den Walzer „Wiener Praterleben“ komponiert, der später in den 20er-Jahren bei keinem Sechstage-Rennen im Berliner Sportpalast als „Sportpalastwalzer“ fehlen durfte. Der legendäre, seit einem Radunfall auf Gehhilfen angewiesene Radrennfahrer und bei keinem Rennen im Sportpalast-Publikum fehlende Reinhold Habisch – im Berliner Volksmund liebevoll „Krücke“ genannt – hatte das ursprünglich im Walzer eingebaute rhythmische Klatschen einfach durch vier schrille Pfiffe auf zwei Fingern ersetzt und damit diesen Wiener Walzer zum Sportpalastwalzer gemacht. Und selbst als die Nazis das Musikstück wegen seines halbjüdischen Komponisten bereits verboten hatten, ließen es sich die Berliner unter „Krückes“ Kommando nicht nehmen, die „Erkennungsmelodie“ für ihren Sportpalast auch 1934 beim letzten Sechstagerennen vor dem Krieg noch einmal lauthals mitzupfeifen. – Doch schon bald sollte auch ihnen das Pfeifen im Hals steckenbleiben. Nach den „Nürnberger Gesetzen von 1935 als „jüdischer Mischling“ eingestuft, wurde Salo Translateur von der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und musste seinen „nichtarischen“ Verlag liquidieren. Während sein Sohn noch rechtzeitig emigrieren konnte, begann im Frühjahr 1943 der grausame Weg Salos und seiner Frau ins Ghetto Theresienstadt, in dem sie ein Jahr später umkamen.

Die Künstlerin

Chelsea Leventhal, Erschafferin der Installation „Ewiger Anklang“, hat seit 15 Jahren ihren Sitz in Berlin. Bekannt als Klangkünstlerin und Komponistin elektroakustischer Musik befasst sie sich in ihren Arbeiten in erster Linie mit der Wiederbelebung und Artikulation von Raum. Dazu schafft sie Klangliche Allegorien in Form ortsspezifischer Klanginstallationen im öffentlichen Raum und verbindet sie Mehrkanal-Klangarbeiten mit skulpturalen Komponenten, Videos und visuellen Elementen. Sie erkundet häufig städtischen Raum, in dem sie auch gerne die Mensch-Natur-Beziehung thematisiert. Weltweit werden ihre Arbeiten erfolgreich präsentiert. Chelsea ist Gastprofessorin für Sound Studies und Sonic Arts Master an der Universität der Künste in Berlin und war 2020 Stipendiatin der Kulturabteilung der Stadt Berlin. Mit ihrer sensiblen Installation „Ewigen Anklang“ lässt sie unsere so gegensätzliche Geschichte eindringlich anklingen und nachklingen, im Zusammenklang mit dem wechselvollen Leben und Schaffen Siegfried Translateurs; eines Mannes, der den Menschen mit seiner heiteren Musik so viel Freude brachte, und der zum Dank von den Nationalsozialisten sang- und klanglos brutal seines Lebens beraubt wurde. In diesem neuen Klangkunstwerk in Schöneberg aber erstehen er und sein Werk der Nachwelt neu.

Näheres – auch akustisches – zur Installation unter www.ewiger-anklang.de

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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