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Die Goerz-Höfe in Friedenau

Ungebrochene Kreativität hinter prachtvoller Fassade

Die Goerz-Höfe in Rheinstraße 45-46/Holsteinische Straße 39-42.
Die Goerz-Höfe in Rheinstraße 45-46/Holsteinische Straße 39-42.
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Juli 2020
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Im denkmalgeschützten Industrieensemble der Goerz-Höfe herrscht auch nach über 120 Jahren noch geschäftig-kreatives Treiben.

Am einstigen Stammsitz der Weltfirma „Optischen Anstalt C. P. Goerz“ in der Friedenauer Rheinstraße 45-46/Holsteinische Straße 39-42 steht wie bisher die Kreativität in vorderster Reihe, die für die hier niedergelassenen Architekten, Ingenieure, Verlage, Agenturen, Designer und Vertreter der Medien-, Sport-, Theater- und Tanzbranche unverzichtbar ist. Handwerkern, Kreativ-Dienstleistern, Büros, Gewerbe und Werkstätten bietet dieser ganz besondere Klinker-Gebäudekomplex mit 71 Gewerbeeinheiten auf 21.009 Quadratmeter Gewerbefläche individuellen Raum zur Entfaltung. Dazu gesellt sich eine 161 Quadratmeter große Wohneinheit.

Wo einst der Fabrikant Carl Paul Goerz (1854-1923) Objektive, Kameras, Scheinwerfer, Entfernungsmesser und andere feinmechanische und optische Geräte produzierte und im Ersten Weltkrieg für das Militär Ferngläser, Zielfernrohre und U-Boot-Periskope an die Front schickte, studiert heute in der „Stagefactory“ Gayle Tufts Tanzschritte für ihr Bühnenprogramm ein. In direkter Nachbarschaft zu namhafte Architekten, die hinter den geschichtsträchtigen Mauern Zukunftsideen für zeitgemäßes Bauen entwickeln. Auch ihr prominenter Vertreter, der für die Reichstagkuppel verantwortlich zeichnende Architekt Sir Norman Foster, hatte bis vor wenigen Jahren sein Berliner Büro in den Goerz-Höfen.

Bereits vor 45 Jahren hatte die auf einer Stiftung beruhende Familienunternehmensgruppe Becker & Kries die Goerz-Höfe übernommen, originalgetreu denkmalgerecht restauriert und dabei auch technisch auf den aktuellen Stand gebracht. Ihr obliegen Verwaltung und Vermietung der Räume.

Fabrik- und Erfolgsgeschichte

Recht kompliziert mutet die Baugeschichte des Industrieensembles aus der Kaiserzeit an: In der ersten Reihe an der Rheinstraße 44 stand als Vertreter der ehemaligen Landhauskolonie ein einstöckiges Landhaus aus der Gründerzeit und daneben bis 1897 ein viergeschossiges Mietshaus im neogotischen Stil. In zweiter Baureihe dahinter entstand die viergeschossige Fabrik mit Rohziegelfassade. Die damalige Gemarkungsgrenze zwischen Friedenau und Steglitz führte mitten durch das Grundstück Rheinstraße 44-46. Erst ab 1938 mit Neuordnung der Verwaltungsgrenzen gehörte die Optische Anstalt C. P. Goerz zu Friedenau.

Das Goerzsche Fabrikareal wurde von 1899 – 1915 durch die Architekten Egeling, Mitnacht, Paeseler, Schmidt und Wendt in mehreren Bauabschnitten vervollständigt. Nach einem Werkstattbau quer zum Fabrikgebäude folgte 1901 ein langer viergeschossiger Klinkerbau, im Stil der Märkischen Backsteingotik reich dekoriert. Mit der Hofrandbebauung näherte sich die Fabrik dann der Holsteinischen Straße an. Der fünfgeschossige Verwaltungsbau mit Tonnendach und aufgesetztem Observatorium entstand zwischen 1913 und 1915, ebenso die auf die Hausnummer 44 aufgestockte zweigeschossige Werkstatt und als echter Eyecatcher der über der Fabrik herausragende 31 Meter hohe verglaste Stahlskelett-Turm mit Kranausleger und Terrasse zum Testen von Fernrohren.

Zeitgleich entstand in Berlin-Lichterfelde der Gewerbehof „Goerzwerk“, von Carl Paul Goerz als Filmfabrik und Glashütte erbaut, der heute mit Start-ups und Unternehmen auf Initiative von Silvio Schobinger erfolgreich wiederbelebt ist.

Die Mark rollte bei Goerz – nicht zuletzt durch die Aufträge des Preußischen Kriegsministeriums, das weniger Interesse an den von ihm entwickelten zwei Taschen-Klappkameras als an den für Bunker, Schützengräben und U-Booten geeigneten Scherenfernrohren zeigte.

Von Anfang an wichtig war die Verkehrsanbindung der mehr oder weniger auf freiem Feld errichteten Fabrik. Dabei leisteten Wannsee-Bahn und regelmäßig verkehrende Straßenbahnen seit 1879 gute Dienste.

Ende des Ersten Weltkrieges zählten rund 12.000 Menschen zur Fabrik-Belegschaft.

Mit dem Versailler Vertrag nach Kriegsende verebbte das für Goerz rentable Kriegsgeschäft, und das Unternehmen geriet in finanzielle Schieflage. Die „Optische Anstalt C. P. Goerz“ wurde 1926 von der „Zeiss Ikon AG Dresden“ übernommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden daraus die „Zeiss Ikon AG Stuttgart“ und „VEB Zeiss Ikon Dresden“, letztgenannte später unter dem Namen „VEB Pentacon Dresden“ bekannt. Von nun an wurden nur noch Kameras und Beleuchtungseinrichtungen gefertigt.

C. P. Goerz brachte mit seinem zukunftsorientierten Erfindergeist zahlreiche technische Patente hervor. So war die von der „Optischen Anstalt C. P. Goerz“ entwickelte Goerz-Anschütz-Moment-Kamera das weltweit erste Modell mit neuer Schlitzverschluss-Optik, – bis heute beliebtes Sammlerstück.

1946 demontierten sowjetische Trupps die technischen Einrichtungen der Fabrikgebäude in den Goerz-Höfen, verbliebene Maschinen wurden beim Nachfolge-Unternehmen Zeiss Ikon mitverwendet. Die Observatoriums-Kuppel ist bis heute auf dem „Insulaner“ in Betrieb.

Die Gebäude der Goerz-Höfe wurden vielfältig genutzt: 1945 als Rathaus des Stadtteils und während der Luftbrücke und der darauffolgenden Jahre als Vorrats- und Hilfsgüterlager zur Bevölkerungs-Versorgung.

Attraktive Lokation für Kreative, Interessierte & Co

Im kunstfreundlichen Friedenau ist die fast 100 Meter lange Fassade der Goerz-Höfe als eine der schönsten des Stadtteils bekannt, berichtet sie doch von der strahlenden Entwicklung Berliner Fabrikarchitektur, die von der Kaiserzeit bis zur Moderne des beginnenden 20. Jh. reicht. In direkter Nachbarschaft zur pulsierenden Einkaufsmeile der Schloßstraße laden die Goerz-Höfe mit den in ihnen vereinten unterschiedlichen Baustilen der verschiedenen Bauabschnitte, die bereits Künstler wie Karl Schmidt-Rottluff und Günter Grass in ihren Bann zogen, zum entschleunigenden Besuch.

Als gewachsenes Element Friedenaus präsentiert das Ensemble mit der Backsteingotik seiner zweckmäßigen Fabrik und der gotisierend-detaillierten Fassade des einstigen Wohnhauses einen charmanten Mix. Dabei ist es – nicht zuletzt dank seiner Mieter – alles andere als verstaubt und besticht als lebendiges Industriedenkmal voller Kreativität im Südwesten Berlins mit ganz besonderem Flair.

Jacqueline Lorenz

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