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Der erste Steglitzer Industrielle

Seidenraupen, Maulbeerbäume und Filanda

Die Blätter des Maulbeerbaums wurden als Nahrung für Seidenraupen angebaut.
Die Blätter des Maulbeerbaums wurden als Nahrung für Seidenraupen angebaut.
Erschienen in Gazette Steglitz Juli 2025

Auf dem alten Friedhof Steglitz steht ein historischer Grabstein. Hier liegen Johann Adolf Heese (1783 – 1862) und seine Frau Marie Sophie Ulrike Heese (1778 – 1858). Der in Berlin geborene Johann Heese widmete sein Leben der Seidenproduktion. Schon 1796 – im zarten Alter von 13 Jahren – absolvierte er eine Lehre als Seidenwirker. In den fünf Lehrjahren lernte er die anspruchsvolle Tätigkeit des Seidenwebens. Der Seidenfaden reißt schnell, daher ist ein hohes Maß an Gefühl für das Material und Perfektion erforderlich. Sein Lehrherr war Johann Carl Wrede. 1813 bestand Heese die Meisterprüfung. Zu dieser Zeit war er bereits Werkführer in Georg Gabains Seidenfabrik.

Gabstein von Johann Adolf Heese und Marie Sophie Ulrike Heese.

Erfolg mit eigener Fabrik

Sein erstes eigenes Unternehmen gründete er 1822, damals noch mit einem Kaufmann als Partner. Nur fünf Jahre später verließ er diesen Betrieb, um die Sammet- und Seidenfabrik J. A. Heese an der Alten Leipziger Straße zu eröffnen. Mit Erfolg – er gehörte schnell zu den ersten Adressen der Stadt und reiche Berlinerinnen und Berliner gingen bei ihm ein und aus und er wurde zum Königlichen Hoflieferanten ernannt. Seine Fachkenntnisse brachten ihm den Ruf zum Sachverständigen der Seidenbranche beim Berliner Fabrikengericht ein, außerdem bekam er ein Stadtverordneten Mandat.

Plan Maulbeerbaumplantage
Zwischen der Heese-, Berg-, Filanda- und Südendestraße befand sich eine Heesesche Maulbeerbaumplantage mit 35.000 Bäumen.

Umzug nach Steglitz

1840 zog es ihn ins ländliche Steglitz. Das Dorf war nicht nur verkehrsgünstig an der Chaussee zwischen Berlin und Potsdam gelegen, hier hielt auch die zwei Jahre vorher eröffnete Berlin-Potsdamer Eisenbahn. Heese erwarb acht Hektar Land nahe der heutigen Schloßstraße/Grunewaldstraße. Auf dem Gelände pflanzte er Maulbeerbäume, von deren Blättern die Seidenraupen sich ernährten. Bis seine Bäume genug Laub für die hungrigen Raupen hatten, dauerte es jedoch. Bis dahin behalf der Seidenfabrikant sich mit Maulbeerlaub von anderen Anbietern. Seine Zucht startete er mit der Unterstützung von dem italienischen Seidenzüchter Bolzani. Zusätzlich zu den Plantagen ließ Heese Wirtschaftsgebäude und eine Filanda bauen. Eine Filanda ist eine Anlage zum Abhaspeln von Seidenkokons. Nachdem die erste Plantage vom Wild kahlgefressen wurde, ließ Heese neue, gut umzäunte Plantagen anlegen.

Maulbeerbaum
Ein letzer Maulbeerbaum auf dem Althoffplatz erinnert als Naturdenkmal an die in Steglitz betriebene Seidenraupenzucht.

Ende durch Seuche

Maulbeersamen und Seidenraupeneier verkaufte Heese in ganz Europa, die von ihm gebauten Haspelmaschinen wurden weltweit exportiert. Zu seinen Besitztümern gehörten bald mehrere Seidenfabriken in Berlin. Eine Seidenraupenkrankheit bedeute zunächst den Aufschwung, später jedoch das Ende von Heeses Unternehmungen. Erst waren Raupenzuchten in Italien und Frankreich befallen. In diese Länder verkaufte Heese Seidenraupeneier, die seuchenfrei waren. Doch um 1860 wurden auch seine Seidenraupen befallen. Das Unternehmen erlitt hohe Verluste. Heese hat sicher sehr unter dem Verlust seines Lebenswerks gelitten – er starb 1862 an einem Nierenleiden. Die Geschäfte wurden noch bis 1889 von seinen Söhnen weitergeführt und das Gelände später mit Wohnhäusern bebaut. Die Heesestraße, die Plantagenstraße, die Filandastraße und die Neue Filandastraße erinnern an diese Zeit. Ein alter Maulbeerbaum – er ist ein Naturdenkmal – steht seit etwa 160 Jahren auf dem Althoffplatz und ist der letzte Zeitzeuge der Seidenraupenzucht in Steglitz.

Seidenraupen
Seidenraupen werden mit frischen Maulbeerbaumzweigen gefüttert. Archiv HVZ
Titelbild

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