Gazette Verbrauchermagazin

Gesamtkonzept Fehlanzeige: Droht der Kantstraße ein Flickenteppich aus Rückbau, Provisorien und Widersprüchen?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf September 2025

Monatlich erscheint in der Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf ein Thema, zu dem die in der BVV vertretenen Fraktionen Stellung nehmen. Das Thema wird „reihum“ von einer der Fraktionen bestimmt. In dieser Ausgabe hat die FDP-Faktion das Thema vorgeschlagen.

CDU-Fraktion

Mit Errichtung des „Pop-up-Radwegs“ während der Corona-Zeit 2020 in der Kantstraße wurde diese in Gänze zum Provisorium. Ein Provisorium, das durch seine seitdem bestehenden Widersprüche sinnbildlich für den in Berlin mit Leidenschaft ausgetragenen Kampf um die Verkehrspolitik steht. Ein Gesamtkonzept muss aus unserer Sicht endlich den Schwebezustand beenden und Klarheit schaffen. D. h.: Lösung der Brandschutzproblematik für die oberen Etagen, ein integriertes Ladezonenkonzept für die zahlreichen Gewerbe und den Wirtschaftsverkehr, freie Fahrt für Busse und Rettungskräfte bei Berücksichtigung von Autos, Parkplätzen und Fahrrädern. All diese Punkte hat die CDU-Fraktion mehrfach und seit Errichtung des „Pop-up-Radwegs“ immer wieder vom Senat gefordert. Es ist daher richtig, dass es nun aus der Senatsverkehrsverwaltung heißt: „Deswegen sollten wir jetzt endlich mal handeln.“ Dem können wir uns mit Blick auf die Untätigkeit der Vorgängersenate nur anschließen und hoffen auf eine baldige Lösung der Senatsverwaltung, damit das jahrelange Provisorium endlich ein Ende findet.

Alexander Pönack

B‘90/Grünen-Fraktion

Die Kantstraße ist eine vielbefahrene Radroute und eine beliebte Ausgehmeile. Hier müssen die Bedürfnisse von Anwohnenden, Gewerbetreibenden, Besuchenden und Entlangfahrenden berücksichtigt werden. Solange die Vorgaben des Berliner Mobilitätsgesetzes und des Berliner Radverkehrsplans eingehalten werden, drohen weder langfristige Provisorien noch Klagen.

Verschiedene erprobte Varianten, die auch schon in Berlin eingesetzt werden, liegen vor. Mit der vollständigen Abschaffung der Parkplätze wäre genug Platz für Radstreifen, Busstreifen und Pkw-Verkehr. Der Busstreifen würde dann auch als Rettungsweg für Einsatzfahrzeuge zur Verfügung stehen. Als Variante kommt in Frage, den Busstreifen nachts für Anwohnerparken freizugeben. Bei Anlieferung mit Lastenrädern könnten Haltebuchten als Liefer- und Ladezone eingerichtet werden.

Noch ist es möglich, die Erfolge des längsten Pop-up-Radwegs in Deutschland mit einer Verdreifachung des Radverkehrs und einer deutlichen Verbesserung der Luftqualität zu sichern.

Corinna Balkow

SPD-Fraktion

Der Streit zwischen Bezirksamt und Senatsverwaltung ist nicht nachvollziehbar. Es wurde eine unmittelbare Gefahrenquelle feststellt, aber seit Monaten gibt es keine Lösung, sondern Streit und gegenseitige Schuldzuweisungen. Ein konstruktives Suchen nach Lösungen ist nicht feststellbar – ganz im Gegenteil. Die SPD-Fraktion hatte es bereits im letzten Jahr gefordert: Als erstes muss die Gefahrensituation schnell beseitigt werden, danach braucht es eine dauerhafte Lösung, die den gesamten Straßenraum in den Blick nimmt. Alles andere ist gegen das Wohl und die Sicherheit der Anwohnenden gerichtet und setzt sie leichtsinnig einer nicht abschätzbaren Gefahr aus. Zusätzlich sollte man auf Landesebene weitere Maßnahmen in den Blick nehmen, die aufgrund von immer höherer Bebauung ohnehin notwendig werden: die Beschaffung von Drehleitern mit 43 m Arbeitshöhe und über 12 m Ausladung bei der Feuerwehr. Die vorhandenen 23 m Drehleitern reichen in der Kantstraße nicht aus. Diese wären relativ einfach zu beschaffen und würden die Brandbekämpfung nicht nur in dieser Straße deutlich verbessern.

Wolfgang Tillinger

Linksfraktion

Die Kantstraße ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen Berlins, doch sie ist nicht fit für die Zukunft. Erst lieferten sich grüner Stadtrat und grüne Senatsverwaltung ein jahrelanges Behörden-Pingpong, ohne den Radweg zu verstetigen. Nun will CDU-Senatorin Bonde das traurige Provisorium komplett abräumen. Der fünf Jahre andauernde Behördenkonflikt ist peinlich und wird auf dem Rücken aller ausgetragen, die nicht Auto fahren.

In der Kantstraße brauchen wir einen geschützten Radweg, eine Busspur, die nicht ständig zugeparkt wird, und breitere Gehwege! Werden Metropolen wie Paris innerhalb weniger Jahre zu einer sicheren und lebenswerten Stadt für alle umgebaut, herrscht in Berlin dank CDU bleierner Stillstand und jede noch so kleine Verbesserung für ÖPNV, Fuß- und Radverkehr wird gestoppt.

Die Linke steht an der Seite der Deutschen Umwelthilfe und des adfc: Der Rückbau ist illegal und gefährdet Menschenleben. Wir kämpfen um jeden Meter geschützten Radweg, damit alle sicher durch die Stadt kommen und die Luft nicht mehr durch Abgase verpestet wird.

Frederike-Sophie Gronde-Brunner

FDP-Fraktion

Die Uneinigkeit zwischen Senat und Bezirksverwaltung bei der Verkehrsführung auf der Kantstraße führt aktuell zu einem Sinnbild der dysfunktionalen Verwaltung in dieser Stadt: Während auf der einen Straßenseite der Pop-up-Radweg dauerhaft verstetigt wird, ist auf der gegenüberliegenden Seite der Rückbau derselben Lösung geplant. Dies führt zu einem verkehrspolitischen Flickenteppich mit unklaren Regeln, widersprüchlichen Signalen und einem erhöhten Gefahrenpotenzial für alle Verkehrsteilnehmenden. Die FDP-Fraktion fordert daher erstens ein einheitliches Handlungskonzept, das mit Augenmaß auf Bedürfnisse der Feuerwehr, ÖPNV, Gewerbetreibenden sowie Radverkehrs- und Bürgerinitiativen abgestimmt ist. Zweitens ist Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer herzustellen. Dafür ist drittens ein Ende der politischen Blockaden und entschlossene Entscheidungen zu Anpassung des Mittelstreifens und Entwicklung sinnvoll geführter Radverkehrsanlagen. Die Zeit für Planungs- und Zuständigkeitsgefechte ist nach Abriss der Westendbrücke – es braucht jetzt bedürfnisorientierte Verkehrsplanung.

Dr. Felix Recke-Friedrich

AfD-Fraktion

Die Kantstraße ist Sinnbild grüner Bezirkspolitik: ideologisch getrieben, planlos umgesetzt. Statt ein durchdachtes Gesamtkonzept vorzulegen, liefert das Bezirksamt Stückwerk – und demonstriert dabei eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Beratungsresistenz. Erst der Pop-up-Radweg als „mutiger Schritt“, dann – hoffentlich irgendwann – Rückbau, gefolgt von Flickarbeiten, die weder Radlern noch Autofahrern helfen. Ampeln sind falsch getaktet, Querungen bleiben gefährlich, Parkplätze verschwinden – zum Schaden aller. Händler klagen über Umsatzeinbußen, Anwohner über Dauerstau und Lärm. Bürgerbeteiligung? Fehlanzeige. Es herrscht gefährlicher – siehe Brandschutz – politischer Aktionismus, bei dem Ideologie über Alltagstauglichkeit steht. Die CDU, ursprünglich ein Korrektiv der Grünen, trägt, wie auch anderswo, den Irrsinn mit. Das Bezirksamt wirkt teilnahmslos, solange es nicht um Symbolpolitik geht. Wer so mit einer der wichtigsten Straßen Berlins umgeht, verspielt Vertrauen, ruiniert das Stadtbild und beschädigt mutwillig das Rückgrat des Bezirks und – das mit Ansage.

Martin C. T. Kohler

TitelbildTitelbild

© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2025