Durch und durch Zehlendorf verschrieben
Lothar Beckmann ist gelebte Heimatgeschichte
Erschienen in Gazette Zehlendorf Januar 2025
Lothar Beckmann‘s zweites Wohnzimmer steht in Zehlendorf Mitte. Im einstigen Schulhaus aus dem Jahr 1828 wirkt er dort als Vorstandsmitglied des bald 140 Jahre alten und aktuell 272 Mitglieder zählenden Heimatverein Zehlendorf. Seit dem Tod von Benno Carus im Jahr 2013 ist er maßgeblich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Der ehemalige Journalist und Diplom-Volkswirt im Unruhestand sorgt dafür, dass Heimatgeschichte über die Museumsräume hinaus unverfälscht und anschaulich vermittelt an die Öffentlichkeit gelangt und zukünftigen Generationen in Erinnerung bleibt. Er komponiert seit rund 15 Jahren für die Zehlendorfer Jahrbücher und Heimatbriefe lesenswerte Zehlendorfer Regionalgeschichte(n), die aus der Feder verschiedener Autoren, aber auch aus seiner eigenen fließen. Inmitten spannenden Bezirksgeschehens ist er zwischen Brötchen- und Kuchenduft der großväterlichen Bäckerei in der Beerenstraße 18 aufgewachsen, im 1921 von Großvater Eduard Martin erworbenen und inzwischen 120-jährigen Mehrfamilienhaus. Dort findet sich seit fast 75 Jahren Lothar‘s erstes Wohnzimmer. Heute unter einem Dach mit Tochter und zwei Enkeln lebend – den Sohn mit Familie verschlug es arbeitsbedingt nach Düsseldorf – pflegen er und seine Frau die Dreigenerationen-Tradition ihres Hauses nur zu gern weiter. „Dank gegenseitiger Rücksichtnahme aufeinander klappt das wunderbar“, weiß er, der als verständnisvoller Opa da ist, wenn Not am Mann ist. Längst gehen die Enkel nun denselben Schulweg zur Nord-Grundschule, den schon Uroma, Opa Lothar und die Mutter gegangen sind.
Lothar Beckmann, Zehlendorfer durch und durch, weiß noch vieles von gestern zu erzählen und zu schreiben.
Aktiv für Heimatverein, Museum und Jahrbuch Zehlendorf
Entspannt sitzt Lothar Beckmann im Kinosessel der aktuellen Ausstellung zum BALI-Kino. Draußen dröhnt der Vormittagsverkehr, im Museumsraum des Heimatverein Zehlendorf ist es herrlich ruhig, nur ab und zu schlägt die Standuhr etwas heiser. Beckmann, seit rund 15 Jahren im Verein dabei, erzählt von der Herkunft der zwei Kinosessel Nr. 19/20 aus dem Museumsdepot. Ursprünglich kamen sie aus dem einstigen Zeli-Kino, das in der Potsdamer Straße in Höhe des heutigen Sderotplatzes an der Potsdamer Straße lag und im Jahr 1972 seine Pforten schloss. Nun erinnern die Sessel an vergangene Kinozeiten und betonen, dass ihre Gefährten in Helgard Gammert‘s BALI-Kino dort mit neuem Betreiber eine Zukunft bekommen haben. – Der rechte Zeitpunkt, in einer Ausstellung im Heimatmuseum die jahrzehntelange BALI-Geschichte anhand alter Kino-Plakate, Programmblätter, Fotos und Kinorelikte wiederaufleben zu lassen.
„Helgard Gammert hat sich in diese Ausstellung sehr eingebracht“, betont Beckmann, der sein journalistisches Know-how nicht nur für sich und seine eigenen Texte erfolgreich einsetzt, sondern vielmehr damit auch andere Schreibende unterstützt: Indem er – wie im Jahrbuch Zehlendorf – ihre Texte lektoriert oder Pressemitteilungen Professionalität verleiht sowie wichtige Recherchearbeit leistet. Regelmäßig kommen die Autoren des Jahrbuches anlässlich des Erscheinungstermins im Oktober zusammen. In diesem Jahr waren es über 30 Personen. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Schreibende es in Zehlendorf gibt, hätte das früher nie vermutet“, freut sich Beckmann angesichts derer, die an den Heimatverein herantreten mit Themen- und Beitragsangeboten für das Jahrbuch. „Etliches liegt dafür schon in meiner Schublade, der Nachschub wird nicht knapp. Aber sobald das aktuelle Buch im Oktober raus ist, mache ich immer erst mal Pause bis März. Danach beginnt dann die Komposition des nächsten Jahrbuches“, verrät er als korrekter Lektor. Halbe Sachen macht er nicht und erklärt: „Ich bin Steinbock und damit sehr ehrgeizig.“ Dass ihm diese Eigenschaft vor Jahren im Berufsleben fast einen fetten Burnout beschert hätte, er gerade noch rechtzeitig die Reißleine ziehen konnte, erzählt er eher nebenbei.
– Ein Grund dafür, dass er den Chefredakteur-Posten bei der TEST-Zeitschrift von Stiftung Warentest abgelehnte. Jetzt im Ruhestand bedeutet das für ihn aber längst nicht, die Beine hochzulegen, weder privat noch bei seinem Einsatz für Heimatverein, Museum und Archiv. Diese sind mit ihrem fachkundigen Team längst weit über Berlin und sogar Europa hinaus bekannte Institutionen für nachvollziehbare und gut recherchierte Heimatgeschichte.
„Aus Südamerika oder Australien kamen schon Anfragen von Ausgewanderten an uns, die wissen wollen, was aus ihrem Elternhaus, ihrer Familie geworden ist“, verrät Beckmann, den man regelmäßig im Museum antrifft, und der im ganzen Bezirk wertvolle Kooperationen pflegt. So bestehen, wie er sagt, sehr gute Verbindungen zu den Schulen des Bezirks, besonders zum Droste-Hülshoff-Gymnasium.
Zehlendorf als Lebensmittelpunkt
Es besteht große Geschichts-Leidenschaft in Lothar Beckmann, angetrieben von einem noch größeren Sammlerherzen für alte Dinge, Dokumente und Papiere, die in erster Linie Geschichten über Zehlendorf zu erzählen wissen. Der Grundstock zu diesem Hobby liegt in Lothar Beckmann´s langer Familiengeschichte: Lebt er doch in einem Haus, das – wie seine Frau sagt – „nichts verliert“ und wohl seit dem Erwerb durch den Großvater nie etwas verloren hat, damit Schränke voller Historie birgt. Beckmann bewahrt sie mit ausgeprägtem Sammlersinn, ohne damit dem Heimatmuseum Konkurrenz machen zu wollen. Beckmann‘s Elternhaus in der Beerenstraße, in dem mittlerweile 11 Mietparteien leben, bietet dafür viel Raum – auch im Keller. Darin ist inzwischen auf Anraten seiner Frau das Beckmann‘sche Archiv eingezogen, gleich neben der Modelleisenbahn und den mottensicher verpackten Brautkleidern aus vier Generationen. Geht es mit den ebenfalls mit ihrer Mutter im Haus lebenden Enkeln Anton und Paul in ein Museum, bekommt Opa Lothar deshalb schon mal von ihnen zu hören: „Och, so was haben wir doch auch Zuhause.“ Dort, wo die Enkel von frühester Jugend an gelernt haben, wie viel Regionalgeschichte allein die eigene Familie birgt. Ein Zuhause, aus dem Lothar Beckmann nie wirklich weg wollte und bis heute nicht weg will. Zwar hatte er während seines Volkswirtschaft-Studiums an der Freien Universität Berlin kurz überlegt, in einer anderen Stadt weiterzustudieren. Doch realisierte er diesen Gedanken dann nie, stark in die evangelische Paulus-Gemeinde eingebunden, für die er über viele Jahre die „PaulusBlätter“ herausbrachte. In „seinem“ Zehlendorf zu bleiben, darin bestärkte ihn dann auch sein Berufsweg: Zuerst die Anstellung in einem Schulbuchverlag. Später dann arbeitete Diplom-Volkswirt Beckmann als Energieredakteur bei der Verbraucherzentrale Berlin, bis er 1980 als Wissenschaftsredakteur zur Verbraucherorganisation Stiftung Warentest kam. Dort blieb er bis zum Eintritt in den Ruhestand. Nach der Wende war er mitverantwortlich für ein Magazin für neue Bundesbürger und hat es schließlich bis zum Ressortleiter gebracht.
Über den Tellerrand von Berlin schaute Beckmann regelmäßig auf Dienstreisen, die ihn zu den unterschiedlichen Prüforten führten. – Eine abwechslungsreiche Aufgabe für den Wirtschaftsjournalisten, der sogar ins Testgeschehen mit einbezogen wurde. „Beispielsweise, als es einen neuen Rasierer zu testen gab. Ich habe mich dann eben damit rasiert und meine Erfahrungen aufgeschrieben“, erzählt Beckmann. Kurz- oder auch mal längere Reisen mit Frau und Tochter unternimmt er heute privat, ohne sich als „Reiseonkel“ bezeichnen zu wollen. Daheim in seinem Bezirk gibt es für ihn ausreichend zu entdecken, ausgiebig zu recherchieren und vieles aufzuarbeiten. Lokalgeschichte hat Potential. Und dann ist da noch sein weiteres Hobby, das Fotografieren, mit dem er nicht nur in den Jahrbüchern glänzt.
Von gestern für morgen
Seine ganz persönliche Lokalgeschichte hat Lothar Beckmann intensiv in eigener Familie erleben können, die seit 1921 ihr Haus stets mit drei Generationen bewohnt. Dabei ist die Martin‘sche/Beckmann‘sche Familiengeschichte fast minutiös nachvollziehbar. So existieren unzählige Dokumente, Rechnungen, Briefe und Unterlagen, in denen wichtige Details erhalten geblieben sind in dem „Eckhaus, das nichts verliert“ an der Beerenstraße. Material genug für den Journalisten Beckmann, daraus für die Jahrbücher 2019 und 2022 eindrucksvolle Beiträge zu schreiben: Über seinen Großvater mütterlicherseits, dem „Bäcker an der Ecke“, und über seine Eltern, die sich dort in Zehlendorf verliebt, verlobt und 1941 verheiratet haben. Ein besonderes Erbe haben Hildegard und Kurt, die bis zu ihrem Tod im Dreigenerationshaus wohnten, ihrem schreibenden Sohn hinterlassen: Zahlreiche exakt durchnummerierte Feldpostbriefe, die sie sich als kurz nach der Hochzeit kriegsbedingt getrennte junge Eheleute hin- und herschrieben. Lothar hat sie digitalisiert und daraus ein ebenso aussagekräftiges wie berührendes Zeitdokument entwickelt, das Interesse bis zum Landesarchiv geweckt hat. Ein weiteres Schätzchen wartet aktuell darauf, gehoben zu werden: Die in Tagebuchform geführten Jahreskalender des Vaters aus den Jahren 1941-1945 dürften nach Lothar Beckmann‘s Bearbeitung nicht weniger lesenswert und spannendes Kleinod werden, das wünscht er sich als Sohn und Autor.
Und dann bleiben vor seinem 75. Geburtstag im Januar noch weitere Wünsche für seine beiden Wohnzimmer. „Zukunftsmusik“, wie der Heimatjournalist verrät, „2028 wird das Heimatverein-Haus 200 Jahre. Schön, wäre bis dahin die geplante Sanierung fertig. Dann könnte man eventuell das Museum erweitern. Die Hauptausstellung endet derzeit noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Man sollte die Zeit danach unbedingt mit einbeziehen.“
Und für sein Elternhaus hat er einen Herzenswunsch: „Es soll weiterhin in Familienbesitz bleiben.“
Weitere Informationen und Kontakt: www.heimatmuseum-zehlendorf.de.
Jacqueline Lorenz