Gazette Verbrauchermagazin

Ingeborg Drewitz hätte sich hier wohl gefühlt

Seit 1991 trägt die Bezirkszentralbibliothek den Namen der Schriftstellerin

Jung und Alt freunden sich in der Bibliothek mit digitalen Medien an.
Jung und Alt freunden sich in der Bibliothek mit digitalen Medien an.
Erschienen in Gazette Steglitz März 2023
Anzeige
MalermeisterWoermann & Söhne GmbHBallettschulenBau- und MöbeltischlereiMiruna Hörgeräte

Die im dritten Stock des Einkaufscenters „Das Schloss“ in Steglitz gelegene Ingeborg-Drewitz-Bibliothek ist eine von vier Stadtbibliotheken und gleichzeitig Bezirkszentralbibliothek von Steglitz-Zehlendorf. An ihrem Standort in der Grunewaldstraße 3 ist auch die Verwaltung untergebracht. Seit Dezember beteiligt sich die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek zusammen mit ihrer Schwesterbibliothek, der Gottfried-Benn-Bibliothek, am Netzwerk Wärme und bietet damit in der kalten Jahreszeit von Montag bis Samstag in der Zeit von 10 bis 20 Uhr einen gut geheizten Ort für alle Menschen. Auch für diejenigen, denen durch steigende Energie- und Lebenshaltungskosten Existenznot droht. Damit zeigt die Bibliothek sich einmal mehr als Wohlfühlort für alle, an dem Bildung und Entspannung Hand in Hand gehen. Sie ist deutlich mehr als bloße Anlaufstelle zum Leihen, Lesen und Lernen.

Die Namensgeberin

Platz für alle – gefallen hätte das auch Ingeborg Drewitz (1923-1986), Namensgeberin der Bibliothek, machte die Schriftstellerin sich doch zeitlebens für benachteiligte Menschen stark. So setzte sie sich in ihren Werken mit der Nachkriegsgeschichte Deutschlands ebenso auseinander wie mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau in Vergangenheit und Gegenwart. Selbst in Berlin-Friedenau in kleinen Verhältnissen mit arbeitslosem Vater und durch Klavierstunden die Familie über Wasser haltender Mutter aufgewachsen, blieb sie immer gesellschaftspolitisch engagiert, übte Sozialkritik und kämpfte für die Menschlichkeit. Nach dem Abitur im Jahr 1941 an der Königin-Luise-Schule in Friedenau studierte Ingeborg Drewitz Germanistik, Geschichte und Philosophie. An der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin (zuvor Friedrich-Wilhelms-Universität) promovierte die Schriftstellerin, die, mehrfach ausgezeichnet, auch sieben Jahre lang Lehrbeauftragte am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin tätig war und Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt. Als eine der Gründerinnen des Verbandes deutscher Schriftsteller und Vorsitzende des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller organisierte sie den ersten Kongress Europäischer Schriftstellerverbände. In zahlreichen weiteren Institutionen in In- und Ausland war sie engagiert, darunter Amnesty International, wofür ihr ebenso große Anerkennung und Auszeichnungen zu Lebzeiten wie posthum für ihr literarisches Werk zuteil wurden. Weltweit unternahm sie Lesereisen.

„Alle Tore waren bewacht“ von Ingeborg Drewitz war das erste Theaterstück, das die grausamen Bedingungen in Konzentrationslagern thematisierte. 1955 wurde es uraufgeführt. Der erfolgreichste Roman der Schriftstellerin war „Gestern war heute: Hundert Jahre Gegenwart“, in dem drei verschiedene Generationen von Frauen in den Mittelpunkt gestellt sind. Die Auseinandersetzung mit der Schuld der Deutschen als Nation war Lebensthema der Autorin. Ihr Ehrengrab liegt auf dem Friedhof Zehlendorf. In der Akademie der Künste Berlin ist die Privatbibliothek von Ingeborg Drewitz archiviert. Von 1946 lebte und arbeitete die Autorin, die die Nachkriegsliteratur so entscheidend beeinflusst hat, im Quermatenweg 178, wo eine Gedenktafel an sie erinnert.

„Wer den Faschismus begreifen will, muss den Alltag begreifen“, war eines ihrer Haupterkenntnisse.

Offen für alles ...

Die Ingeborg-Drewitz-Bücherei gedachte ihrer Namensgeberin an ihrem 100. Geburtstag am 10. Januar 2023 mit einem Rückblick auf ihr Leben und Werk durch die Journalistin und Literatur-Dozentin Jutta Rosenkranz. In der Steglitzer Bibliothek gehören Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Essays von Ingeborg Drewitz zu den Standardwerken.

Auf über 3.000 Quadratmetern bietet sich dem Besucher eine großzügige Medienoase, die kaum einen Wunsch offen lässt. Fast 220.000 Medien vom Buch bis Konsolenspiel warten im Medienbestand auf ihre Ausleihe. Aufgeteilt ist die Bibliothek in Allgemeinen, Kinder-, Jugend- und großem Musik-Bereich mit Instrumenten (siehe Gazette 4/22), kaum ein Thema, das in den Medien hier nicht vertreten ist: Sogar ein Häkelbuch mit Harry Potter gibt es da; kaum ein Bereich, in dem der kultige Zauberlehrling nicht aus irgendeinem Regal aufmunternd den Zauberstab schwingt.

Ihren großen und kleinen Besuchern ihre unterschiedlichsten Bedürfnisse zu erfüllen und sie hier an diesem besonderen Ort lebendigen Bibliothekswesens miteinzubeziehen, scheint oberstes Gebot des 37-köpfigen Fach-Teams. Das besteht aus Bibliothekaren und Bibliothekarinnen, „Famis“ – Fachangestellten für Medien und Informationsdienste – und Auszubildenden. Gerade Kinder und Jugend lieben die großzügige Atmosphäre der Bibliothek. Längst vorbei die Zeiten, in denen in Büchereien geflüstert werden musste, es nach staubigem Papier roch und Angestellte mit strengem Blick durch die Regalreihen patrouillierten. „Die Realität hat die Bibliotheken eingeholt“, erklärt Fachbereichsleiter Jens Gehring und Bibliotheksleiter Kaj Marschall ergänzt: „Ein Wandel vollzieht sich, hin zu einer besseren Aufenthaltsqualität der Bibliotheken.“ Dabei überholt die Realität die eher theoretische Ausbildung von Bibliothekaren. – Bibliothekar ohne Technikaffinität, heute kaum noch vorstellbar. Eine Entwicklung, die vor keiner Stadtbibliothek halt macht.

Viele Bibliothekskräfte im Haus haben ihre Schwerpunktbereiche, in denen sie versierte Ansprechpartner für Groß und Klein sind.

In engagierter Eigeninitiative holt das Team Experten ins Haus, bringt es Zielgruppen zusammen, sichtet es den anonymen Wunschkasten für Leser und entwickeln Ideen daraus weiter. „Das ist eine große Herausforderung. Wir befinden uns auf dem Findungsweg und erkennen dabei auch unsere Grenzen. Aber es macht viel Spaß“, erklärt Bibliotheksleiter Marschall. Und Ulrike Fürstenau, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, ergänzt: „Wir sind offen für alles, für Ideen und Vorschläge von außen und für neue Kooperationen.“

Gerade junge Besucher erwarten Abwechslung bei den Medien, ein zeitgemäßes digitales Angebot und empfinden die Bücherei als Erlebnisort, den es immer neu zu entdecken gilt. Lese-und Ruhezonen, Computerbereiche sind unverzichtbar geworden und gut angenommen. „Die überwiegend positiven Rückmeldungen aus dem Leserkreis zeigen, das der Großteil der Bibliotheksnutzer diesen Wechsel begrüßt“, betont Jens Gehring. Häufig loben gerade die Älteren diese veränderte, so belebende Atmosphäre.

... und alle

Gefragt bei Jung und Alt sind neben Lesungen und Vorträgen die kostenfreien Veranstaltungen, die sich an ganz verschiedene Altersgruppen richten: Schlagerabende, Konzerte, Vorträge, Beratung über Bewerbung und Berufswahl, Energieverbrauch, Pflege von Senioren bis hin zur Babymassage; Familienkino, Digitale und Senioren- Sprechstunde, Debattierclub für Frauen, das Angebot ist bunt. Mitmachen ist angesagt und findet beim regelmäßigen Schreibcafé, Lesekreis oder Französischen Lesekreis Gehör. Ebenso begeistern Themenabende wie die Halloween-Veranstaltung im letzten Jahr, die DER Renner für Groß und Klein war: Im verdunkelten Raum war wohliges Erschrecken zwischen den Regalen da besonders aufregend und gruselig.

Das Angebots-Spektrum ist also groß, besonders beliebt ist die immer am letzten Donnerstag eines Monats in der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek stattfindende „SchlossKultur“ in Zusammenarbeit mit Kulturamt und Volkshochschule. Die nächste findet am 30. März statt, u. a. mit Schreibworkshop, großem Osterbasteln, Einblicken in die deutsche Gebärdensprache und mit jungen Pianisten aus der Musikschule. Weitere SchlossKultur-Tage sind der 27. April und der 25. Mai 2023.

Bibliothek macht spielerisch Schule

Jugendliche auf dem Weg zu eigenverantwortlichem Lernen und dem Erwerb von Medienkompetenz zu unterstützen, ist eine sehr ernst genommene Aufgabe der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek. Dies in ihren Räumen spielerisch und harmonisch zu vermitteln, eine weitere. Dazu bietet die Bücherei für Schüler in Absprache mit dem Lehrpersonal auf die einzelnen Jahrgänge zugeschnittene Module wie „How-To-Youtube“ oder „Fake News“. Darüber hinaus gibt es eine Fülle an kostenlosen Veranstaltungen, Workshops und Erlebnissen für die Kids.

Im MoWo, dem mobilen Wohnzimmer mit Jugendsprechstunde, können die Jugendlichen Sorgen ansprechen, hören ihnen Fachleute wie Pädagogen und Sozialarbeiter zu. – Dass dabei manches Problem von den Kindern und Jugendlichen auch an Bibliothekskräfte herangetragen wird, bleibt da nicht aus und beweist großes Vertrauen. Die Angesprochenen richten sich in diesem Fall an kompetente Fachleute und bringen so Experten und Zielgruppe unkompliziert zusammen.

Renner unter den Angeboten für Jugendliche sind Video-Spiele und die 24 DVR-Brillen, mithilfe derer sie dann visuell schon mal die steilste Kletterwand bezwingen oder das sicherste Gefängnis knacken. Alle Angebote sind pädagogisch genauestens geprüft, bevor sie in die Bibliotheks-Leihe gelangen. Ein weiteres Highlight – bei Eltern und Kindern – ist der offene Makerspace: Mit den von der Bibliothek angeschafften Sets von LEGO-Education können die Kinder dynamische und effektive Lernerfahrungen sammeln. Die Jüngeren erhalten bei der „Calliope Mini“ einen spielerischen Einstieg für erste Programmiererfahrungen. – Wie spannend ist es doch, wenn ein gut funktionierender Safe oder ein funktionstüchtiges Karussell zusammengebaut ist!

Schon die ganz Kleinen lernen ganzheitlich, mit den Medien der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek umzugehen: Kita-Kinder treffen da auf die Tomate Annika und ihre Geschichte; zuerst im Buch oder Hörbuch, dann aber auch real im gläsernen Atrium der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek an der frischen Luft. Hier wird das Berliner Projekt DRAUSSENSTADT hautnah umgesetzt und wird zukünftig von der Bibliothek mit weiteren spannenden Angeboten erweitert werden. Inzwischen aber stehen kleine Gießkannen für die Kitakinder bereit. Damit sorgen sie dann regelmäßig für das Wohl von Annika und ihren Freunden, damit sie auf den Hochbeeten im Atrium kräftig wachsen und zu leckeren Tomaten heranreifen können. Die werden dann später in der Bibliotheksküche in die Münder der kleinen Gärtner wandern, untermalt von der ein oder anderen lustigen Tomatengeschichte.

Weitere Informationen zu Angebot und Veranstaltungen der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek unter www.berlin.de/stadtbibliothek-steglitz-zehlendorf/bibliotheken/ingeborg-drewitz-bibliothek/

Jacqueline Lorenz

Titelbild

© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023