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Das Theater im Wald

Verschwundene Spuren von Kultur und gesellschaftlichem Wandel

1991 waren die Reste des Theaters noch zu erkennen. Fotograf unbekannt, Archiv Heimatverein Zehlendorf
1991 waren die Reste des Theaters noch zu erkennen. Fotograf unbekannt, Archiv Heimatverein Zehlendorf
Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal August/September 2020
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In den Wäldern von Düppel über Wannsee bis nach Potsdam findet man noch Spuren versunkener Stätten der Kultur, die vom großen Wandel der Gesellschaft und der Umwelt vor über 120 Jahren berichten.

Gut 70 Jahre, nachdem Lenné und Pückler in Glienicke und Babelsberg begannen, Parkanlagen nach Vorbildern der Natur anzulegen, wurden die Städte immer dichter mit grauen Hinterhöfen bebaut und so wuchs die Sehnsucht in einer „romantischen Natur” zu leben. Außerhalb der Stadt hatte sich die Landschaft verändert; die nach 1800 auf den seit dem Mittelalter sandigen Heiden angelegten Aufforstungen um Berlin und Potsdam waren 1900 zu ansehnlichen Wäldern herangewachsen. Die Zäune um das Jagdgebiet Grunewald öffneten sich, Erholung suchende Berliner aus den Mietskasernen und Hinterhöfen strömten in neuen Eisenbahnen in die Wälder, die damals noch nicht forstwirtschaftlich gepflegt wurden.

Anfängliche Naturschutzgedanken

Naturschutzgedanken kamen auf, vertreten von Hugo Conwenz (1855-1922), dessen Grab auf dem Stahnsdorfer Friedhof gepflegt wird. Eine Tafel am ehemaligen Rathaus Steglitz erinnert an die Jugendlichen, die 1901 den „Wandervogel” gründeten, um die Natur zu erkunden. Längst errichteten großstadtmüde Wohlhabende Villen und gestalteten prächtige Gärten unter Erhalt der Kiefern, die 1907 zum Zehlendorfer Wappenbaum wurden. Dann blühten die Naturwissenschaften auf, als ab 1911 die erfolgreichsten Wissenschaftler aus allen Ländern in das neue Forschungszentrum nach Dahlem kamen, wo revolutionäre, zu oft unsachlich angefeindete Theorien entstanden, ohne die unsere moderne Technik nicht möglich wäre.

„Neue Gemeinschaft“ am Schlachtensee

Schärfste Kritik erfuhren damals neue gesellschaftliche Umgangsformen, bei denen die Natur eine große Rolle spielte. Gut 60 Jahre vor den „Blumenkindern”, deren bekannterer Name Hippies von „hip” gleich „neu-modern” abgeleitet ist, siedelte sich die „Neue Gemeinschaft” am kleinen Wäldchen oberhalb vom Schlachtensee, nicht weit vom Bahnhof an. Allein ihre langen lockeren Kleider müssen Aufsehen erregt haben. In einer Zeit, als man Frauen die körperliche und geistige Befähigung zum Studium absprach, wurden ihre Versuche zur Praktizierung von Gleichberechtigung für absurd, sogar schädlich gehalten. Vegetarische Lebensweisen wurden ebenso wenig verstanden wie ihre modernen literarischen und künstlerischen Äußerungen. So scheiterte das frühe Experiment schon nach vier Jahren. Aber nicht nur in Museumsarchiven sondern auch im Wald haben sie Spuren hinterlassen. Sie besuchten nämlich Gleichgesinnte im Tessin, die am kulturell bedeutenden Monte Verita in Ascona modere Lebensweisen übten. Von dort brachten sie eine kleine unscheinbare, aber für die Südalpen typische Eiche mit, die noch am Hang zum Schlachtensee wächst, wo nach einem Foto Mitglieder der Neuen Gemeinschaft mit Gießkanne und Gartengeräten tätig waren. Andere Gehölze, die von ihnen stammten, wurden leider in den letzten Jahren entfernt. Eine größere Persische Eiche und stattliche Fichten sind für jeden sichtbare Zeitzeugen der „Lebensreformer”. Vielleicht ging auch die kleine Naturbühne im Paul-Ernst-Park am Waldrand, auf der noch in den 1950er-Jahren Pfingstkonzerte stattfanden, auf die Neue Gemeinschaft zurück.

Das Josef-Kainz-Theater

Keinesfalls so revolutionär war das Revival der Naturtheater unter freiem Himmel, die Rudolf Lorenz (1866-1930) gründete. Ein Berühmtes wurde 1909 in Hertenstein gegenüber von Luzern am Vierwaldstätter See eröffnet, das war ein Jahre vor dem Tod des damals berühmten Schauspielers Josef Kainz (1858-1910). In der Todesanzeige der „Die Welt”, Heft 1 vom 2. Oktober 1910 liest man: „Josef Kainz, ein geborener Ungar, hat lange Jahre seines Lebens dem Berliner Kunstleben angehört. Er war so recht eigentlich zum Berliner geworden und ist auch bis an sein Lebensende der bevorzugte Liebling der Berliner geblieben. … Vom deutschen Theater zu Berlin ging Kainz 1899 an die Wiener Hofburg … Nur auf Gastspielen sahen wir ihn alljährlich einige Wochen in Berlin. Seine Gastspielreisen glichen wahren Triumphzügen, …” Lorenz schreibt in seinem Heft: „Meine persönliche Bekanntschaft mit Josef Kainz wurde durch das Freilichttheater am Vierwaldstätter See vermittelt. … Wohl war auch er zunächst den Neuerungen gegenüber, die ein Theater im Freien mit sich brachte, skeptisch, …” Kainz ist jedoch schnell zum Anhänger von Freilichtbühnen geworden. 1913 bekam die Bühne am Pohlesee nahe am Ort Stolpe gelegen, den Namen: „Josef Kainz – Theater – Künstlerische Freilichtbühne am Kleinen Wannsee bei Berlin”.

Wo die Bismarckstraße sich in den Wald verliert…

Die Bibliothek im Heimatmuseum Zehlendorf verfügt über ein seltenes Werbeheft von 1913, mit genauen Angaben und sogar Bildern, aus dem hier zitiert wird. Dort liest man auch von der heute noch nachvollziehbaren Wegbeschreibung zum Theater, nur die Zeiten des Fußmarsches sollten den heutigen Verhältnissen entsprechend, etwas verlängert werden: Zitat: „Wo liegt das Josef-Kainz-Theater? In Wannsee bei Berlin! Wenige Minuten vom Bahnhof Wannsee mit seinem Gewimmel von naturhungrigen Ausflüglern und dem großstädtischen Wagenverkehr entfernt […] liegt Heinrich von Kleist´s Grab […] Wo die Bismarckstraße sich in den Wald verliert und Pfade nach rechts zum Kleinen Wannsee durch den Wald an verträumte Ufer führen (der einzige Uferweg am Kleinen Wannsee!) dehnt sich nach 10 Minuten stimmungsreicher Uferwanderung ein 32750 Qu.-Meter großes umzäuntes Gelände (der Terraingesellschaft Neu-Babelsberg gehörig) mit Wald, Wiese u. Seeufer bis etwa zu Dampfer-Haltestelle ‚Wilhelmsplatz‘ hin (an der Kohlhasenbrücker Straße).”

Für diesen Fußweg wurden 25 Minuten veranschlagt. Mit dem Dampfer bis zur Station „Wilhelmsplatz” 7-10 Minuten. Mit dem Autobus ca. 6-8 Minuten. Vom Bahnhof Neu-Babelsberg (heute Babelsberg) etwa 35 Minuten. Die Theaterkarten konnte man schon an den „Schiffskassen” des „Theater-Dampfers” in Potsdam, Neu Babelsberg und Wannsee lösen. Schon gab es Autos: „Neben dem Theaterportal ist ein Aufstellplatz”, gemeint war ein Parkplatz für Automobile.

Der Architekt war K.A. Herrmann aus West-Westend. Unter der Überschrift: „Wie ist das Theater eingerichtet? (Bauten und Gelände)” erfährt man von einem Portal und Kassen, Nützlichkeitsbauten, Toiletten, Garderoben, einer Restaurationshalle mit Terrasse und Pergolaeinbauten, einem Teeraum und dem Waldpark als Restaurationsgarten. Gespielt wurde im Sommer täglich, 1064 Sitzplätze hatte der 60 Meter lange, leicht gebogene, zweistöckige, überdachte Zuschauerbereich, dazu kamen 12 Sessel in der Ehrenhalle mit Nebenräumen. Unter Bühnen-Einbauten werden genannt: „[…] wie z. B. Tempel, Hallen, Burg etc., im Stil wechselnd je nach den aufzuführenden Stücken geforderten Zeitalter.” Über 10 Bühnenwerke sind für 1913 angegeben von Goethe, Grillparzer, Hebbel, Ibsen, König, Sachs, Widmann mit Erweiterungen „Bei etwaiger Ausdehnung der Spielzeit”.

Verfall nach dem Ersten Weltkrieg

Im 1. Weltkrieg wurde das Freilichttheater selten bespielt, dann begann der Verfall. Bis in die 1990er-Jahre waren noch die Steinabgrenzungen des Zuschauerbereichs im Waldboden erkennbar. Heute zeugen Robinien, die allgemein gern auf verfallenden Fundamenten wachsen, von den Bauten. Erwähnt werden muss noch ein großer sonst höchst seltener Schwarz-Nussbaum, der eventuell auf einem Bild von der Bühne als Jungbaum erkennbar ist.

Mehr über die Entwicklungsgeschichte des Grunewalds und die Spuren historischer Orte in den Wannseer Wäldern erfahren Sie vom 27. April bis 13. September 2020 (unter Vorbehalt) in der Ausstellung im Heimatverein Zehlendorf, Clayallee 355, neben der Dorfkirche. Öffnungszeiten Mo und Do 10 – 18 Uhr, Di und Fr 10 – 14 Uhr sowie jeden ersten Sonntag im Monat 11 – 15 Uhr, www.heimatmuseum-zehlendorf.de .

Achim Förster

Titelbild

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