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Vom Sportpalast zum Sozialpalast

Veranstaltungshalle wurde vor 50 Jahren abgerissen

Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau November 2023
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Der Moment, für den der Sportpalast immer noch bekannt ist, war kurz: der Hauptagitator der Nationalsozialisten, Joseph Goebbels fragte in seiner Rede das aufgepeitschte Publikum: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Die entfesselten Massen grölten ihr „Jaaaaa!!!“ mit lauter Begeisterung in die Halle. Das war am 18. Februar 1943 – die Anwesenden dürften ihre Zustimmung bald bitter bereut haben.

Der Auftakt

Gebaut wurde das große Gebäude von 1909 bis 1910. Der anfangs „Hohenzollern-Sportpalast“ genannte Bau galt mit seiner Kunsteisbahn – damals die größte der Welt – als Sensation. Den Anfang im Sportpalast machte jedoch die Musik. Zur Eröffnung am 17. November 1910 spielte das Orchester der Königlichen Oper die Neunte Sinfonie von Beethoven. Dirigent war der Preußische Hofkapellmeister Richard Strauss.

Schwierige erste Zeit

Trotz dieses hochkarätigen Auftakts waren die Anfänge schwierig. Der Sportpalast hatte deutlich weniger Besucher als erhofft, sodass der Betreiber nur wenige Monate nach der Eröffnung Konkurs anmelden musste. Ein großzügiger Sponsor sorgte für den Weiterbetrieb. 1911 zog das Berliner Sechstagerennen aus der Ausstellungshalle am Zoologischen Garten in den Sportpalast um. Die beliebte Veranstaltung war ein Zuschauermagnet und der Zuspruch für die Halle stieg deutlich. In der Bahnmitte waren Stehplätze, in den Logen gab es eine Pflicht zum Konsum, die schnell „Alkoholzwang“ getauft wurde. Oben unter dem Dach war der sogenannte „Heuboden“ mit den billigen Plätzen. Im Ersten Weltkrieg diente der Sportpalast als Waffenlager und Sammelstätte für Kleidung. Nach Kriegsende ging es für den Sportpalast aufwärts. Die Berliner lechzten nach ausgelassenen Feiern und Abwechslung.

Sport und Politik

Abwechslung bot der Sportpalast reichlich. Je nach Aufbau der Bestuhlung fanden in der damals größten Halle Berlins bis zu 10.000 Besucher Platz. Hier wurden Kinofilme gezeigt – laut Werbung von 1919 war es das größte Kino der Welt und Max Schmeling boxte im Sportpalast. Besonders in den 1920er-Jahren tobte dort das Leben. 1923 erlebten die Besucherinnen und Besucher das größte Hallenreitturnier der Welt. Später wurden auch Fahrsportturniere – bis hin zu Sechsspännern – ausgerichtet. Während der Wirtschaftskrise und der Inflation fehlte den meisten Berlinern das Geld für Vergnügungen. In dieser Zeit entdeckte die Politik die große Veranstaltungshalle für sich: In der Weimarer Republik nutzten Politiker ihn für Parteitage, so sprachen hier Heinrich Brüning von der Zentrumspartei, der von 1930 bis 1932 Reichskanzler war, Ernst Thälmann sowie Wilhelm Pieck von der KPD und viele andere. Nach dem Wahlsieg der NSDAP wurden Kundgebungen anderer Parteien im Sportpalast verboten. Keinen Gefallen tat Reinhold Krause von den Deutschen Christen der Kirche. Mit seiner Rede 1933, die antisemitische und neuheidnische Passagen enthielt, schaffte er es, dass es zu einer Austrittswelle bei den Deutschen Christen kam.

Regeländerungen für das Sechstagerennen

Das letzte Sechstagerennen vor dem Zweiten Weltkrieg wurde 1934 ausgetragen. Die Nazis planten ein Verbot, da sie den Profisport und den damit verbundenen Personenkult eindämmen wollten. Doch Reichsradsportführer Franz Ortmann, der selbst ehemaliger Veranstalter war, wollte aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf die Sechstagerennen verzichten. So setzte er sich bei dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten für neue Regeln ein. In diesen waren Antrittsgagen und Trikotwerbung nicht mehr vorgesehen. Dafür eine Ruhephase am Vormittag und Preisgelder für Platzierungen an den einzelnen Veranstaltungstagen. Doch das Publikum liebte gerade den Nervenkitzel des Dauerfahrens, außerdem verzichteten namhafte Starter auf die Teilnahme. Auch der Sportpalastwalzer, den das Berliner Original Reinhold Franz Habisch, genannt Krücke, mit seinen Pfiffen zur Institution gemacht hatte, war verboten. Die Komposition stammte von dem Juden Siegfried Translateur. Das Publikum blieb weg, das Rennen fand vor leeren Rängen statt. Das nächste Sechstagerennen im Sportpalast fand erst wieder im Jahr 1949 statt.

Neustart nach Kriegsende

Fast ein Jahr nach Goebbels Rede zerstörten Bomben den Sportpalast. Er wurde nach Kriegsende vereinfacht wieder aufgebaut. Das Sechstagerennen fand wieder statt, genauso wie Eissportveranstaltungen, Konzerte – darunter Klassik, aber auch Jazz, Schlager und Rock. Der Sportpalast war trotz seiner Publikumserfolge von Anfang an ein Zuschussgeschäft. Der Mauerbau verhinderte, dass das Publikum aus dem Osten Berlins kommen konnte und viele Veranstaltungen fanden in der vom Senat subventionierten Deutschlandhalle statt. Als der damalige Geschäftsführer Georg Kraeft 1972 überraschend starb, nahte das Ende des Veranstaltungsortes.

Vom Veranstaltungs- zum Wohnort

Der Immobilienunternehmer Karsten Klingbeil kaufte das Sportpalast-Areal und ließ das Gebäude im November 1973 abreißen. Damals herrschte – wie auch aktuell – Wohnungsmangel in Berlin. Klingbeil ließ eine Anlage mit Mietwohnungen für über 2000 Bewohner errichten. Die 514 Wohnungen befinden sich einem großen langen Gebäude, das einen Hochbunker und die Pallasstraße überbrückt, an das sich drei Querriegel anschließen, die sich um zwei Wohnhöfe gruppieren. Aus der edel klingenden Bezeichnung „Wohnen am Kleistpark“ machten die Berliner schnell den „Sozialpalast“. Viele Gastarbeiter mit ihren Familien und finanziell schwächere Mieter zogen dort ein. Durch Vandalismus und Drogenprobleme wurde der Betonbau zu einem sozialen Brennpunkt. Durch ein Quartiersmanagement und Sozialarbeiterinnen und –arbeiter konnte die Situation verbessert werden, sodass die Anlage, die mittlerweile „Pallasseum“ heißt, sich zu einem gefragten Wohnort entwickelt hat. Seit 2017 steht das Ensemble unter Denkmalschutz.

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