Gazette Verbrauchermagazin

Sind Kiezläufer ein Weg zu mehr sozialem Miteinander?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Juni 2017

Kiezläufer kennen ihren Kiez genau, denn sie leben selbst dort und sind so niedrigschwellige Ansprechpartner. Erfahrungen in anderen Bezirken wurden bereits gemacht, nun wird der Einsatz von Kiezläufern auch von der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert. Nachfolgend finden Sie die Stellungnahme der im Bezirksamt vertretenen Fraktionen.

SPD-Fraktion

Wir verlieren immer mehr das soziale Miteinander in unserem Zusammenleben. Leicht erkennbar in der schon selbstverständlich gewordenen Zuweisung des Selbstverschuldens bei Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, in Schwierigkeiten geraten sind. Dies wird noch durch den Ruf nach Verweigerung von Hilfen – leider auch aus politischen Parteien - gefördert. Hier können Kiezläufer nach einer guten Vorbereitung – ähnlich wie die Konfliktlotsen in den Schulen – in unseren Straßen und Parks und Wohnumfeld, nach einer qualifizierten Einarbeitung, für eine positive Veränderung sorgen. Nicht durch ein Auftreten als Ergänzung des Ordnungsamtes oder gar der Polizei. Auf keinem Fall. Vielmehr durch ziviles, nachbarschaftliches Auf- und Eintreten für mehr Sauberkeit, ein friedlicheres Miteinander und in einer vermittelnden Hilfestellung bei Konflikten. Sie können aber auch vermitteln zwischen den Angeboten des Bezirkes und den vielfältigen Problemen, die an sie herangetragen werden. Das stellt hohe Anforderung an die Vorbereitung, Schulung und Auswahl der zukünftigen Kiezläufer an die sich darauf einlassende Verwaltung. Die schon laufenden Pilotprojekte in Hamburg und Berlin zeigen aber, dass es umsetzbar ist.

Wolfgang Tillinger

CDU-Fraktion

Die CDU-Fraktion hält Kiezläufer im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf für eine gute Ergänzung zum Ordnungsamt. Hier kann durch einen ersten Kontakt zum Bürger ein Verständnis für ein Miteinander erzeugt werden. Die Kiezläufer sollen Vertrauen aufbauen und sich erzählen lassen, was die Bürger für Sorgen und Probleme haben. Sie sollen im Kiez kontrollieren, wie es im Wohnumfeld und Parkanlagen hinsichtlich illegaler Müllentsorgung aussieht. Ja, sie sollen auch auf die Hundehalter zu gehen, um die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner sofort zu beseitigen, und sind sicher auch Ansprechpartner für Hilfsbedürftige. Die Kiezläufer können den Jugendlichen im Bezirk, die nicht wissen was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollen, Hilfestellung zu den wenigen Jugendeinrichtungen im Bezirk geben. Sie sollten die Kids motivieren, die Freizeitangebote wahrzunehmen. Vielleicht gehen von den Kiezläufern auch eigene Initiativen aus, die den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf bereichern. Die CDU-Fraktion sieht die Kiezläufer nicht als eine Konkurrenz zur Polizei und dem bezirklichen Ordnungsamt. Hilfreich ist mit Sicherheit, sie in Rechts- und Gesetzesfragen zu schulen und in Gesprächsführung zu unterstützen. So werden die Kiezläufer sicher eine hohe Akzeptanz im Bezirk erhalten und zu einer Verbesserung des Wohnumfeldes und der Lebensqualität in Charlottenburg-Wilmersdorf beitragen.

Karsten Sell

B‘90/Grünen-Fraktion

Kiezläufer*innen gibt es in Bereichen mit Quartiersmanagement in Berlin. Sie schauen, ob die Straßen und Parks sauber und im ordentlichen Zustand sind. Sie melden Vermüllung wie Schäden und sorgen für deren Entfernung/Behebung. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es kein Quartiersmanagement. Deshalb soll das Bezirksamt prüfen, ob Kiezläufer*innen über den Zweiten Arbeitsmarkt vom Jobcenter eingesetzt werden können. Erwerbslosen wäre es somit möglich, eine Aufgabe für ihren Kiez wahrzunehmen und dort ein Bewusstsein zu schaffen, den öffentlichen Raum so zu hinterlassen, wie er vorgefunden wurde. Das Angebot kann die Ordnungsamts-App ergänzen, bei der Bewohner*innen Probleme dem Ordnungsamt via Smartphone melden können. Mit Kiezläufer*innen wird gleich vor Ort im Gespräch auf Missstände aufmerksam gemacht. Das ist sehr sinnvoll.

Alexander Kaas Elias

FDP-Fraktion

Mit dem Verweis auf vermeintlich gute Erfahrungen aus Mitte wird derzeit eine Initiative zum Einsatz von Kiezläufern bei uns im Bezirk diskutiert. Dabei ist weder klar, was diese machen oder wo dies geschehen soll, in welchem Arbeitsverhältnis sie stünden, wie viele Personen es bräuchte und wer es eigentlich bezahlen würde. Die bisher sehr vagen Äußerungen zum Thema sprechen davon, dass Kiezläufer zur Kontrolle und Säuberung von Parks, zur Kontrolle des Leinenzwangs bei Hunden oder als Ansprechpartner für Hilfsbedürftige agieren könnten. Doch für all dies gibt es bereits qualifizierte Kräfte – nur viel zu wenige. Aus Sicht der FDP-Fraktion sollte deshalb keine neue und vermeintliche sämtliche Probleme lösende Stelle geschaffen werden. Keines der genannten Problembereiche könnten Kiezläufer besser lösen als die bereits existierenden Mitarbeiter im Ordnungsamt oder bei der Stadtreinigung. Wer etwas solches verspricht, enttäuscht am Ende nur diejenigen, die daran glaubten. Nutzen wir stattdessen die Gelder und stellen endlich mehr Menschen dort ein, wo diese tatsächlich fehlen, beim Ordnungsamt, bei der Stadtreinigung, der Parkpflege und den Sozialarbeitern. So gehen wir den Weg zu mehr sozialem Miteinander.

Pascal Tschörtner

AfD-Fraktion

Ausgerechnet mit Kiezläufern ein besseres soziales Miteinander schaffen? Ist das nicht ein Ausdruck von Hilflosigkeit? Politisches Versagen hat dazu geführt, dass bestimmte Gegenden so verkommen sind. Verwahrloste Jugendliche, Straßen voller Sperrmüll, verunstaltete Fassaden, Junkies und Alkoholabhängige in Parks mit entsprechender Belästigung durch Pöbeleien und Gefährdung z.B. durch weggeworfene Spritzen. Es ist eine Sache, dem Bezirksamt Vermüllung, Rattenbefall und Verunreinigung zu melden, eine andere ist der Umgang mit Jugendbanden und Suchtkranken. Das erfordert spezielles sozialpädagogisches bzw. Suchtpräventionstraining. Hier sind ausgebildete Experten gefragt. Das darf man nicht abwälzen auf Kiezläufer ohne entsprechende Ausbildung, die nur den Kiez aus eigener Erfahrung kennen. Die politisch Verantwortlichen dürfen mit dem Einsatz der Kiezläufer nicht von jahrzehntelangem Versagen ablenken, von sozialpolitischem laissez faire. Geborgenheitsgefühl und vor allem Sicherheit sind die Grundlagen für ein soziales Miteinander. Das schafft man nicht durch ein paar Kiezläufer sondern durch eine robuste Durchsetzung von Recht und Ordnung und mit einer Sozialpolitik, die den Namen auch verdient.

Michael Seyfert

Linksfraktion

Ja, denn Kiez- oder auch Parkläufer*innen können Ansprechpartner, Beobachter und Problemlöser in den Kiezen, Parks und Brennpunkten sein. Sie schaffen mit ihrer Präsenz Sauberkeit und Sicherheit im Bezirk, indem sie den Zustand eines Wohnumfeldes kontrollieren, wesentliche Verhaltensregeln kommunizieren und sich die Wünsche und Nöte von Anwohner*innen anhören. Jedoch muss ihre Rolle klar für alle definiert werden. Kiezläufer*innen arbeiten in Konflikt- und Gefahrensituationen mit Polizei- und Ordnungskräften sowie Sozialarbeiter*innen zusammen, sind jedoch selbst keine. Sie können und sollen nicht die Aufgaben von Ordnungs- und Polizeibehörden übernehmen, aber Angsträume identifizieren, ihnen mit Präsenz in schwierigen Sozialräumen begegnen und damit das subjektive Gefühl von Bedrohung senken. Ihre sozialintegrative Rolle verlangt aber auch, dass sie über kommunikative und mediative Fähigkeiten verfügen. Dazu sind Schulungen notwendig, die vom Bezirk oder Land getragen werden müssen. Es bedarf überhaupt angemessener fachlicher und finanzieller Ressourcen aus Politik und Verwaltung, um die Arbeit von Kiezläufer*innen zu qualifizieren. Denn am Ende steht die Verbesserung des Aufenthaltsgefühls in unseren Kiezen.

Annetta Juckel

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