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Wort des Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters

Steglitz-Zehlendorf Oktober 2020

Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Oktober 2020
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Michael Karnetzki. Foto: Uwe Steinert
Michael Karnetzki. Foto: Uwe Steinert

Liebe Leserinnen und Leser,

vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1920, wurde das Berlin gegründet, das wir heute kennen und das unsere Vorfahren damals „Groß-Berlin“ nannten. Ein halbes Jahr zuvor war am 27. April 1920 das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ von der verfassungsgebenden preußischen Landesversammlung mit knapper Mehrheit beschlossen worden. Zur „alten“ Stadt Berlin kamen sieben bis dahin selbständige Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke hinzu und bildeten von nun an eine Einheitsgemeinde, die damals eine der größten Städte der Welt war. Auch das Berlin von vor 1920, das nur vom Wedding bis zum Kleistpark und vom Zoologischen Garten bis zum Treptower Park reichte, war bereits eine Millionenstadt. Von nun an war Berlin jedoch eine Stadt mit einer Fläche von fast 900 km² und einer Einwohnerzahl von 3,9 Millionen, die im Zweiten Weltkrieg kurzzeitig auf fast 4,5 Millionen anwuchs.

Auch die Gemeinden Steglitz, Lankwitz, Lichterfelde, Nikolassee, Wannsee und Zehlendorf sowie die Gutsbezirke Dahlem, Klein-Glienicke, Pfaueninsel und ein Teil des Gutsbezirks Potsdamer Forst kamen 1920 zu Berlin und bildeten von nun an die Verwaltungsbezirke Steglitz und Zehlendorf. 1928 kam noch das Gut Düppel hinzu.

Ein solch kühnes Stadtprojekt wie die Schaffung von „Groß-Berlin“ war nur in der unmittelbar nachrevolutionären Zeit am Ende des 1. Weltkriegs durchführbar. Und doch ging dem bereits eine jahrzehntelange Diskussion zwischen der Stadt Berlin, den umliegenden Städten und Landkreisen und der preußischen Staatsregierung voraus. Diese wurde von den Notwendigkeiten der sinnvollen Gestaltung eines bereits lange die offiziellen Stadtgrenzen überwindenden übergreifenden Siedlungsraums angetrieben. Insbesondere galt es, eine integrierte städtische Infrastruktur (Wasser, Kanalisation, Gas, Elektrizität, Verkehr) für eine sprunghaft wachsende Bevölkerungszahl zu schaffen. Auch die Sicherung von Grün- und Waldflächen vor einer planlosen Zersiedelung standen auf der Agenda der kommunalen Politik. Bereits 1911 war als Vorläufer der Einheitsgemeinde ein „Zweckverband Groß-Berlin“ gegründet worden. Der dauerhafte Schutz des Grunewalds, noch heute das größte Naherholungsgebiet Berlins, war sein nachhaltigstes Ergebnis.

Die neue Großgemeinde Berlin war von Anfang an in ihrer Struktur eine einzigartige Stadt. Eine Einheitsgemeinde, die doch sowohl in ihrer Identität und in ihrem Verwaltungsaufbau durch starke dezentrale Tendenzen und Strukturen geprägt ist. Berlin, das sind seine vielfältigen Kieze. Mit ihnen identifizieren sich die Menschen bis heute. Wir sahen das gerade am Beispiel der Bürgerinitiative für einen neuen Ortsteil Schlachtensee. Die Bezirksverordnetenversammlung hat am 20.5.2020 die Schaffung dieses neuen Ortsteils bei nur einer Enthaltung beschlossen.

Auch in seiner Verwaltung ist Berlin seit seiner Gründung 1920 dezentral, „zweistufig“, aufgebaut. Neben einer Hauptverwaltung mit dem Senat und dem Abgeordnetenhaus gibt es starke Bezirke mit Bezirksbürgermeisterin oder Bezirksbürgermeister, Stadträten und einer Bezirksverordnetenversammlung als politischem Beschlussorgan. Über die Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen von Hauptverwaltung und Abgeordnetenhaus einerseits und den Bezirken anderseits gab und gibt es immer wieder Diskussionen. Es gibt auch Reibungen. Diese ergeben sich aus der Notwendigkeit, zwei gleich legitime Anforderungen und Bedürfnisse zusammenzubringen:

Einerseits gilt es in der ganzen Stadt gleichwertige Lebensverhältnisse und den sozialen Ausgleich zu schaffen. Auch die Organisation einer notwendig gesamtstädtischen Infrastruktur, wie vor 100 Jahren gehört dazu auch heute nicht zuletzt der Ausbau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur für die wieder wachsende Stadt, ist Aufgabe der Hauptverwaltung.

Zum anderen gilt es kommunale Entscheidungen möglichst dort zu treffen, wo sie sich konkret vor Ort auswirken, also möglichst dezentral. Dort, wo die Bürgerinnen und Bürger sich auch selbst aktiv in den Entscheidungsprozess einbringen können.

100 Jahre nach der Schaffung einer derart gegliederten zweistufigen Struktur steht Berlins Verwaltung erneut vor der Aufgabe, seine Strukturen zukunftsfähig zu machen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat Defizite offengelegt. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist chronisch unterbesetzt. Aufgaben von Ordnungsämtern und Polizei müssen neu justiert, aber ebenfalls personell untersetzt werden. Bei den derzeit Not leidenden Bürgerämtern zeigt sich, wohin eine Stadtverwaltung in der Krise gerät, wenn sie ohne jede Reserven arbeitet und ihre Dienstleistungen im Minutentakt abrechnet. Vor allem aber gilt es die Digitalisierung der Verwaltung voranzubringen.

All diese Aufgaben bündeln sich im „Zukunftspakt Verwaltung“, den Senat und Bezirke im vergangenen Jahr vereinbart haben, um die Berliner Verwaltung neu aufzustellen – nicht im Gegeneinander von Hauptverwaltung und Bezirken, sondern gemeinsam und auf gleicher Augenhöhe. Die Umsetzung des Zukunftspaktes gehört zu den wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre.

Ihr

Michael Karnetzki

Stellvertretender Bezirksbürgermeister,
Bezirksstadtrat für Ordnung, Nahverkehr und Bürgerdienste

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