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Gericht in der Villenkolonie

Das Amtsgericht Lichterfelde verlor 1973 seine Funktion

Postkarte um 1910.
Postkarte um 1910.
Erschienen in Lichterfelde West Journal Oktober/November 2023
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Gericht und Gefängnis im Villenvorort – schon die Anforderungen an den geplanten Bau waren hoch. Doch den Architekten Rudolf Mönnich und Walter Sakur gelang das anspruchsvolle Projekt. Der 1905 fertiggestellte Gebäudekomplex mit Amtsgericht und Gefängnis an der Ringstraße 9/Söhtstraße passte gut in die umgebende Villenkolonie. Das Zentralblatt der Bauverwaltung, Ausgabe 1911, Nr. 17 veröffentlichte hierzu einen Artikel von Otto Sarrazin und Friedrich Schultze:

Das Amtsgericht Lichterfelde

„Die Errichtung eines öffentlichen Gebäudes in einem reinen Villenvorort, als welcher sich Lichterfelde allen Anfechtungen gegenüber behauptet hat, bot dem Architekten eine eigenartige Aufgabe. Bei aller Vielachsigkeit und der damit verbundenen grundrißlichen Geschlossenheit einer öffentlichen Bauanlage mußte dem ländlichen Gepräge der Umgebung gebührende Rechnung getragen, anderseits aber sollte der Forderung genügt werden, die Bestimmung des Bauwerks augenfällig und eindringlich genug auszuprägen. Aus ersterem Anlaß ist dem Geschäftsgebäude des Amtsgerichts durch die Wahl einer nur zweigeschossigen Anlage eine mäßige, die Umgebung nicht schädigende Höhe zugemessen. Dem steilen Dach und den dasselbe unterbrechenden massiven Aufbauten, dem hohen Eckbau mit beherrschenden Giebeln und einem Dachreiter auf den sich kreuzenden Satteldächern, die die umgebenden Baumreihen überragen, fällt die Aufgabe zu, deutlich für die Ferne zu wirken, ohne durch allzu reichliche Anhäufung von Baumassen auf der Umgebung drückend zu lasten. Die Formen der deutschen Renaissance dürften dem Bestreben glücklich zu Hilfe gekommen sein.

Auch bei der Durchbildung der Einzelheiten, die an den beiden Portalen zu erkennen ist, war die Umgebung von bestimmendem Einfluß, ohne den Eindruck des öffentlichen Gebäudes zu verwischen.

Das Innere mit den lichten Gängen und Hallen, die mit Ziegeln, an bedeutsamen Stellen unter Anwendung von Werksteinrippen, eingewölbt sind, bringt die Zweckbestimmung des Hauses auch an dem selten auftretenden bildnerischen Schmuck angemessen zur Geltung. Eine besondere Beachtung sei auch der am Schlusse des Seitenflügels liegenden runden Treppe zugedacht, die, bei eintretender Erweiterung von gesteigerter Bedeutung, als Wendelstein ausgebildet ist. Da der aus dem Kylltal stammende Werkstein des Inneren einer harmonischen Einfügung in die einfache Farbengebung trotzte, hat er meist eine vollständige farbige Behandlung erfahren. Eine besondere Sorgfalt mußte in dem bevorzugten Landhausort der Anordnung der zugehörigen Gefängnisanlage gewidmet werden. Durch Vorlagerung eines Flügels für die Beamtenwohnungen und den Beisaal ist das eigentliche Gefängnis zurückgedrängt und spricht für das Gesamtbild nur noch nebensächlich mit. Bei der Ausstattung des Betsaales sind die malerischen Innenräume märkischer Dorfkirchen vorbildlich gewesen.“

Damit das Gefängnis etwas verdeckt werden konnte, ließen die Lichterfelder das Gerichtsgebäude 1913 verlängern. Seine Funktion hatte es bis auf eine Unterbrechung nach dem Zweiten Weltkrieg, als das US-Militärgericht die Räume nutzte. 1973 endete die Zeit als Amtsgericht und die Funktion wurde vom Amtsgericht Schöneberg übernommen. Im Gebäude in Lichterfelde befindet sich seitdem das Grundbuchamt.

Titelbild

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