Gazette Verbrauchermagazin

Verteilung des öffentlichen Straßenraumes

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf diskutiert

Schloßstraße: Fußgänger, Radfahrer, Busse und Autos teilen sich den öffentlichen Raum.
Schloßstraße: Fußgänger, Radfahrer, Busse und Autos teilen sich den öffentlichen Raum.
Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf September 2023

Nachdem über viele Jahre die Aufteilung und Verteilung des öffentlichen Straßenraumes vor allem auf den individuellen Autoverkehr ausgerichtet waren, haben sich hier die Sichtweisen der Planer und in Teilen der Bevölkerung verändert. Mehr und mehr rückten auch die Förderung des Fahrradverkehrs, des ÖPNV und die Interessen der Fußgänger in den Vordergrund und sorgten für manch heftige Debatten im Rathaus Zehlendorf. Nachfolgend nehmen die Fraktionen und die fraktionslosen Bezirksverordneten in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf zu diesem Thema Stellung.

René Rögner-Francke, Bezirksverordnetenvorsteher

CDU-Fraktion

Die Verteilung des öffentlichen Straßenraums hat nur dem jeweils örtlichen Bedarf zu folgen. Wir lehnen es ab, den Straßenraum für einzelne Verkehrsmittel so zu planen, dass die Bürger gehindert werden, das Verkehrsmittel ihrer Wahl zu benutzen, weil sie im Stau stehen, bsp. weil, wie in der Kantstraße, sogenannte „Pop-up-Radwege“ aufgemalt wurden, die verglichen mit den Autos, die deswegen im Stau stehen, eine sehr geringe Anzahl an Radfahrern im Sommer und eine noch viel geringere Anzahl im Winter oder bei schlechtem Wetter benutzen. Die Verteilung des Straßenraums hat sich gerade nicht daran zu orientieren, ob einem das Verhalten der Bürger gefällt oder nicht. Die Politik hat Dienstleister für den Bürger zu sein und nicht Erziehungsberechtigter, wie die Grünen sich dies anmaßen. Daher haben wir auch in der Clayallee eine völlig unsinnige Busspur verhindert. Grüne Politik lautet: Pkw-Verkehr der Bürger behindern, anschließend vom Verkehrsinfarkt sprechen, deshalb Pkw-Verkehr weitgehend verbieten oder so verteuern, dass ihn sich nur wenige leisten können. Unsere Politik lautet: der Bürger entscheidet, welches Verkehrsmittel er benutzt.

Torsten Hippe

B‘90/Grünen-Fraktion

Unser Ziel bei Verkehrspolitik und Stadtplanung ist die Stadt der kurzen Wege: Bedürfnisse, egal ob der Gang zum Einkaufen, zu sozialen Einrichtungen, zur Schule oder auch zum Arzt sollten möglichst in der Nachbarschaft erfüllt werden können. Dafür ist es wichtig, die vielen bezirklichen Zentren rund um S- und U-Bahnhöfe zu sichern und weiter auszubauen. Dabei denken wir die lokale Wirtschaft und die aktive Nachbarschaft zusammen: Wenn Bedürfnisse vor Ort erledigt werden können, stärkt das die Geschäfte, verkürzt die Wege und sorgt für Begegnungen. Das führt dazu, dass der Fußverkehr nicht mehr marginal gedacht werden darf und wir vor allem breitere und barrierefreie Gehwege brauchen. Gerade deshalb muss die Verkehrsinfrastruktur klar und sicher gestaltet werden. Möglichst viele Menschen sollen effizient und sicher an ihr Ziel kommen – zu Fuß, aber auch mit dem ÖPNV, dem Rad und dem Auto. Hierzu ist es zentral, Konflikte unter den Verkehrsteilnehmenden zu reduzieren. Dafür müssen wir den öffentlichen Raum bedarfsgerecht gestalten mit dem Ziel, dass alle Menschen sich, egal mit welchem Verkehrsmittel, stressfrei bewegen können.

Kostas Kosmas

SPD-Fraktion

Lange Zeit wurde dem motorisierten Individualverkehr im öffentlichen Raum absoluter Vorrang gegenüber den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fuß- und Radverkehr eingeräumt. Dies kann nicht mehr so weitergehen. Bei der Verteilung des öffentlichen Raums dürfen zukünftig nicht nur die Interessen der Nutzer*innen von Pkw im Vordergrund stehen. Durch z. B. eine Reduzierung der Anzahl von Parkplätzen entsteht nicht nur Platz für den Ausbau und die Förderung des Umweltverbundes (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr), sondern die öffentliche Hand gewinnt auch Platz für den Bau von Spielplätzen und Sitzbänken oder um neue Grünflächen anlegen zu können. Es geht darum, unsere Stadt noch lebenswerter zu machen. Bei uns im Bezirk haben sich daher bspw. Bürger*innen in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, um darüber zu diskutieren, wie dies im „Blumenkiez“ am S-Bahnhof Botanischer Garten umgesetzt werden kann. Wir als SPD-Fraktion begrüßen die Arbeit der Initiative und unterstützen die Anliegen. Platz ist endlich und muss gerecht verteilt werden; damit der öffentliche Raum allen Menschen zugute kommt.

Olemia Flores Ramirez

FDP-Fraktion

Der öffentliche Straßenraum ist für alle da. Jeder nutzt ihn auf seine Art. Es macht keinen Sinn, Verkehrsteilnehmer gegeneinander auszuspielen. Wir Freien Demokraten (FDP) meinen zudem, dass sich niemand für seine Art der Mobilität rechtfertigen muss. Eine politisch motivierte „Verteilung“ ist kontraproduktiv. Gut ausgebaute sichere Verkehrswege für alle Verkehrsteilnehmer verstehen wir als einen Teil der Daseinsvorsorge. Auch wir wollen daher eine leistungsfähige Radinfrastruktur, ebenso wie wir uns für die Sicherheit aller anderen Verkehrsteilnehmer, z. B. auch der Fußgänger, einsetzen. Erste Projekte im Bezirk haben die Möglichkeit einer erfolgreichen Sanierung vorhandener Radwege aufgezeigt. Wir sehen jedoch auch weiterhin den motorisierten Individualverkehr, also das Auto, als das führende Verkehrsmittel, schon weil das Auto ganzjährig eine unabhängige Mobilität ermöglicht. Initiativen, wie das von uns initiierte Schloßstraßenfest, zeigen eine weitere Möglichkeit der Nutzung des öffentlichen Straßenraums. Eine politische „Verteilung“ würde die vielfältige Nutzung daher nur erschweren oder gänzlich unmöglich machen.

Gregor Habbel

AfD-Fraktion

Wir wollen allen Bürgern in Steglitz-Zehlendorf schnelle Fortbewegung ermöglichen – egal ob mit Auto, Fahrrad, Bus, S-Bahn oder U-Bahn. Individuelle und öffentliche, muskel- und motorgetriebene Verkehrsmittel sollen sich ergänzen, nicht ausschließen. Unsere AfD-Verkehrspolitik für alle Verkehrsteilnehmer ist fair. Eine unfaire Verkehrspolitik, die zum Beispiel Autofahrer gezielt benachteiligt, ist mit uns nicht zu machen. Die AfD will eine Verkehrspolitik, die sich an Bedürfnissen der Bürger orientiert – und nicht an grüner Ideologie. Gute Beispiele dafür sind die Havelchaussee, die wir für alle Verkehrsteilnehmer offen halten wollen, und der Schlangenbader Tunnel, der schnell wieder für den Verkehr geöffnet werden muss. Parkplätze sollen erhalten werden, damit Geschäfte, Büros und Wohnungen gut erreichbar bleiben. Die „Parklets“ der Grünen, also Sitzinseln aus Holz auf den Parkplätzen, lehnen wir ab, weil sie wichtigen Parkraum blockieren und zur Verwahrlosung unserer Einkaufsstraßen beitragen. Die Bürger wollen schnell, sicher und bequem unterwegs sein und ans Ziel kommen. Unser Auftrag ist es, das möglich zu machen.

Peer Döhnert

Die Linke 

Berlin hat den Großteil seines Straßenraumes ans Auto verschwendet: Ca. 60 Prozent sind für Autos reserviert. Fußwege machen etwa 30 Prozent, Wege für Radfahrende und ÖPNV den kleinen Rest aus (vgl. Studie der TU-Berlin, Nov. 2022). Vor allem CDU, FDP und AFD zementieren diese ungerechte Verteilung. Gemessen an tatsächlich absolvierten Wegen sind insbesondere Radverkehr und ÖPNV unterversorgt. Beide Fortbewegungsarten sind aber für Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen und solchen mit ökologischem Verständnis von hoher Relevanz. Die Qualität von Fuß- und Radwegen ist besonders hier im Bezirk im Vergleich zum Durchschnitt der Autostraßen schlecht – und das, obwohl seit 2006 die Grünen (mit) in der Verantwortung sind! Auch die neue Ampel-Zählgemeinschaft verhindert die Verkehrswende in S-Z – etwa auf der Havelchaussee (anders als Grüne + SPD in Charlottenburg-Wd.). Zudem belegen die immer größer werdenden Pkw auch in unserem Bezirk immer mehr Räume, die für soziale Begegnung, sichere Fuß- und Radwege, Gastronomie oder Grünflächen fehlen. Berlin wäre viel lebenswerter und sicherer, wenn wir endlich Flächengerechtigkeit herstellten.

Dennis Egginger-Gonzalez

TitelbildTitelbild

© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023