„Länger fit durch Musik!“
Förderprogramm in Zehlendorf angekommen und angenommen
Erschienen in Wannsee Journal Oktober/November 2024
Seit 2023 führt der Bundesmusikverband als Mitglied und Akteur der „Nationalen Demenzstrategie“ ein Förderprogramm zum demenzsensiblen Musizieren durch. Während der vierjährigen Laufzeit sollen Sensibilisierungsmaßnahmen sowie die Förderung von modellhaften Projekten und Qualifizierungsangebote im Fokus stehen. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und soll mit einem Fachkongress abschließen. Für das Jahr 2024 starteten dazu 21 demenzsensible Vokal- und Instrumentalprojekte aus dreizehn Bundesländern mit der Umsetzung ihrer Projekte zum Thema „Länger fit durch Musik“, die gefördert werden aus bereitgestellten Mitteln im Rahmen der „Nationalen Demenzstrategie“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dem Bundesministerium für Gesundheit. Der Bundesmusikverband Chor & Orchester e. V. setzt das Programm im Auftrag des BMFSFJ bis zum Abschlusskongress Ende 2026 um. Ein mit 3.057,50 Euro geförderter Projektteilnehmer für Berlin ist im Jahr 2024 der Frauenchor Zehlendorf 1952 geworden. Jeden dritten Dienstag im Monat kommen seine Chorsängerinnen in der Senioreneinrichtung Heinrich- und Margarete-Grüber-Haus, Teltower Damm 124 in Zehlendorf, zum regelmäßigen gemeinsamen Singen mit sensiblen Übungen mit Bewohnern des Seniorenheims und deren Angehörigen unter musiktherapeutischer Begleitung zusammen. Als zweites gefördertes Berliner Projekt wurden für dieses Jahr die „Vokalhelden“ ausgewählt, bestehend aus mehreren Kinderchören und einem Jugendchor. Mit ihren gesungenen Erinnerungen musizieren sie ebenfalls regelmäßig gemeinsam mit Menschen mit Demenz und deren Liedgut in einer Berliner Pflegeeinrichtung.
Im Rahmen des Projektes „Länger fit durch Musik“ für Chöre und Orchester finden in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik für die Teilnehmenden Weiterbildungen statt, wozu noch Online-Treffen für einen regen Erfahrungsaustausch kommen. – Alles mit dem Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen mit Hilfe der Musik zu verbessern.
Jedem eine Stimme geben
Dienstag, 15 Uhr im Heinrich- und Margarete-Grüber-Haus: Rund 50 betagte Personen sitzen erwartungsvoll in großem Kreis im Gemeinschaftsraum beisammen, darunter auch einige Männer, von denen es ruhig noch ein paar mehr sein dürften. Dabei auch einige Angehörige der Heimbewohner und ein gutes Dutzend Chorsängerinnen des Frauenchor Zehlendorf 1952 – erkennbar an den weißen Blusen –, der mit derzeit 33 Mitgliedern jeden Mittwoch im Hans-Rosenthal-Haus probt. Allen voran Heidrun Nicking, seit über 50 Jahren als 1. Sopran engagiert im Frauenchor dabei und nicht ganz unbeteiligt am Zustandekommen der Teilnahme des Chores bis Ende ´24 an diesem vielversprechenden Gemeinschaftsprojekt. „Ich finde es wunderbar, dass unsere Chormitglieder und die Hausbewohner nun zusammen singen, Musik verbindet doch und hält fit – auch uns Chorsängerinnen, für die diese Teilnahme eine wertvolle Prophylaxe gegen das Älterwerden ist“, freut sich die Sängerin, auch wenn damit eine zeitaufwendige Projekt-Dokumentation für den Chor verbunden ist.
Die Freude über das gemeinsame Singen spiegelt sich an diesem Nachmittag in vielen Gesichtern wider. Den Taktstock als Chorleiterin sicher in der Hand hält Mirjam Parma nicht nur seit gut zwei Jahren beim Frauenchor, sondern nun auch bei den regelmäßigen musikalischen Zusammenkünften im Heinrich- und Margarete-Grüber-Haus. Die studierte Sängerin und Gesangslehrerin trifft bei allen den richtigen Ton, motiviert und animiert zum Mitmachen. „Es ist faszinierend, dass Beeinträchtigte, denen das Sprechen schwer fällt, so taktsicher mitklatschen“, lobt sie und sieht das Modellprojekt als gutes Beispiel dafür, wie beeinträchtigte Menschen behutsam und erfolgreich angesprochen und mobilisiert werden können.
Kein schöner Land
Zuerst geht es an diesem Nachmittag zum Aufwärmen für alle die Tonleiter rauf und runter, beim Aufwärtssingen mitdehnende Gymnastik-Stretchbänder in den Händen der Senioren unterstützen dabei die Lockerung von Verspannungen, und auch das Durchatmen wird gleich viel leichter. Kirschkernkissen klappern im Rhythmus. Je nach Jahreszeit werden dazu passende Lieder ausgewählt, meist jedoch beginnt die gemeinsame Singstunde mit einem Kanon. Heute ist es „Bruder Jacob“, fröhlich klingt das „Ding, deng, dong“ aus den Seniorenkehlen. Passend zum sich ankündigenden Herbst stehen Lieder wie „Ich hatt´ einen Kameraden“, „Ade, du mein lieb Heimatland“, „Kein schöner Land“, „Die Tiroler sind lustig“ und „Wenn die bunten Fahnen wehen“ auf dem Programm – und klingen Ende Oktober vielleicht bei einem frischen Bockbier dann noch fröhlicher? Die ausgeteilten Liederbücher machen textsicher, – eigenartig: Wenn auch sonst das Erinnern so manchem schon schwer fällt, bei den Liedtexten ist vieles noch da, werden plötzlich dem Gesangsnachbarn kleine Geschichten erzählt, die mit dem Liedtext den Weg zurück ins Gedächtnis gefunden haben. Und dann ist da noch die zierliche Dame im Rollstuhl, die plötzlich in der Tür des Gemeinschaftsraumes erscheint und heute Geburtstag hat: Schon klingt dem Geburtstagskind kräftig ein herzliches „Viel Glück und viel Segen auf all Deinen Wegen“ im gemeinsamen Chor entgegen. – Singen und Musik verbindet, macht froh, lässt miteinander ins Gespräch kommen, das schon zu lange verstummt schien. Und so wünscht sich nicht nur der Frauenchor Zehlendorf 1952 mit Leiterin Mirjam Parma, dass auch nach Projektende die Kontakte zu den Senioren bestehen bleiben und neugeknüpfte musikgeragogische Verbindungen weiter ausgebaut werden können.
Weitere Informationen zum Projekt unter www.bundesmusikverband.de/foerderung/lfdm/
Jacqueline Lorenz