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Von der Kanonenbahn zur S-Bahn

Wechselhafte Geschichte des Bahnhofs Grunewald

Das Bahnhofsgebäude wurde 1899 erbaut.
Das Bahnhofsgebäude wurde 1899 erbaut.
Erschienen in Gazette Wilmersdorf Oktober 2020
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Eine strategische Ost-West-Verbindung – das sollte die Bahn sein, die später im Volksmund Kanonenbahn genannt wurde. Heute ist die Bezeichnung Wetzlarer Bahn geläufiger. Die Planung einer Bahnstrecke von Charlottenburg nach Metz in Elsass-Lothringen – das zu dieser Zeit zum Deutschen Kaiserreich gehörte – wurde 1873 beschlossen. 1879 bekam der Grunewald seinen ersten Bahnhof. Er hieß „Hundekehle“. Der Name Grunewald war damals nämlich schon vergeben – er war die Bezeichnung für den heutigen Bahnhof Halensee. Die Bahnhöfe wurden 1884 umbenannt. Vermutlich war das Bahnhofsgebäude anfangs eher einfach, da überwiegend Ausflügler die Bahnstrecke nutzten, um in Grunewald auszusteigen. Das änderte sich 1899 mit dem Bau der Villenkolonie.

Der Regierungsbaumeister Karl Cornelius bekam den Auftrag, hier einen Bahnhof errichten zu lassen. Gemeinsam mit dem Architekten Waldemar Suadicani hatte er bereits mehrere Bahnhöfe entworfen – beispielsweise in Lichtenberg, Wiesbaden, Rahnsdorf, Köpenick und Karlshorst. Der Bahnhof Grunewald bekam ein repräsentatives Eingangsgebäude – passend zu den Villen, die nach und nach in seiner Umgebung entstanden. Mit zwei kleinen Türmchen neben dem Giebel über dem Eingangstor und dem Flügelrad anstelle eines Wappens erinnert er an eine kleine Burg. Eine blau-goldene Uhr komplettiert das Ensemble. Anfangs hielten an der Station die Züge der Wetzlarer Bahn und die „Grunewaldzüge“ der Ringbahn. Mit der Elektrifizierung der S-Bahn im Jahr 1928 fuhren hier die Züge der Stadtbahn und die Grunewaldzüge der Ringbahn wurden eingestellt. Heute halten hier die Züge der S7.

Dunkle Zeiten

Vor fast 80 Jahren fuhren vom S-Bahnhof Grunewald die Züge in die Todeslager. Mehrere Mahnmale erinnern an diese Zeit. In langen Reihen wurden die jüdischen Bewohner der Stadt zum Bahnhof getrieben, in der Hand Koffer und Taschen mit wenigen Habseligkeiten. Damit die Geschehnisse nicht in Vergessenheit gerieten, brachte eine unbekannte Gruppe 1953 eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportationen am Signalhaus an. Diese Tafel wurde einige Zeit später wieder entfernt. 1973 folgte eine weitere Tafel, die jedoch 1983 gestohlen wurde. Am 46. Jahrestag des ersten Deportationszug, dem 18. Oktober 1987 errichtete die Frauengruppe der evangelischen Grunewald-Gemeinde auf dem Bahnhofsvorplatz ein Mahnmal, das aus drei Eisenbahnschwellen bestand, von denen eine senkrecht stand. Auf einer Schwelle befand sich eine Messingplatte mit Erinnerungsinschrift. Nachdem die Initiatorinnen aus Altersgründen nicht mehr in der Lage waren, das Mahnmal zu pflegen, wuchs es zu. Die Messingplatte wurde gestohlen. 2005 ließ man es in vereinfachter Form wieder aufbauen und erneut eine Messingplatte montieren. Seit 1991 steht ein 18 Meter langer Betonblock mit schemenhaften Umrissen deportierter Menschen vor Ort. Der Entwurf stammt von dem polnischen Künstler Karol Broniatowski. Das zentrale Denkmal befindet sich hingegen entlang des Gleises. Auf 186 Stahlgussobjekten, von denen jedes für einen der Züge steht, die die Menschen in die Konzentrationslager brachten, stehen Datum der Abfahrt, Anzahl der Deportierten und das Ziel des Zuges. Zusätzlich wurde der bereits abgetragene Bahnsteig auf einer Länge von ca. 160 Metern wieder aufgebaut. 2012 pflanzte Lukacz Sorowiec im Rahmen der Biennale Birken aus der Umgebung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau auf dem Bahnhofsvorplatz.

Karmielplatz am Bahnhof

Am 18. Oktober 2015 wurde der Platz vor dem S-Bahnhof Grunewald auf den Namen Karmielplatz getauft. Anlass war die zu dem Zeitpunkt 30-jährige Städtepartnerschaft zwischen der Stadt Karmiel in Israel und Charlottenburg-Wilmersdorf.

Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf pflegt eine lebendige Partnerschaft mit Karmiel in Israel. Neben gegenseitigen Besuchen politischer Delegationen lag ein Schwerpunkt der partnerschaftlichen Aktivitäten von je her im Jugendaustausch und dem Austausch von Fachkräften innerhalb der Verwaltungen. Aber auch im kulturellen sowie im Sportbereich hat es in den vergangenen Jahren es Begegnungen und Projekte gegeben.

Das 1964 gegründete Karmiel ist Teil des „Besiedlungs- und Entwicklungsplans für Galiläa“. Seit 1985 ist der Ort eine Stadt. Karmiel liegt in Galiläa im Nordbezirk Israels, etwa 20 Kilometer östlich von Akko. Die Stadt hat ein 24 Quadratkilometer großes Industriegebiet, das von den Wohnbezirken getrennt ist. Hier haben sich Firmen aus dem Baugewerbe, Plastik-, Holz-, Eisen- und Stahlverarbeitung, Textilfirmen sowie High-Tech-Anbieter niedergelassen. Unter den ca. 8000 Angestellten sind sowohl jüdische Einwohner als auch ihre arabischen Nachbarn. Viele Bewohner von Karmiel arbeiten jedoch in Haifa, das über eine Nationalstraße mit dem Ort verbunden ist.

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